Wolfgang Amadeus Mozart

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

27.09.2008
Schlosstheater Potsdam (Winteroper)
Musikalische Leitung:
Konrad Junghänel
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Matthias Schaller
Kostüme:
Antje Sternberg
Mit:
Jutta Böhnert, Anna Palimina, Marco Jentzsch, John Heuzenroeder, Wolf Matthias Friedrich, Ihsan Othman
Orchester:
Kammerakademie Potsdam
Rezensionen:

Für den Chor der Janitscharen ist kein Geld da. Wenn der Bassa Selim einzieht, muss ein altes, grauenvoll leierndes Tonband genügen. Pedrillo stellt auch noch einen Teller daneben und ein Schild: „Für die Kultur in Brandenburg“. Das wirkt zunächst fürchterlich plakativ, aber die Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ im Schlosstheater Sanssouci zeigt vor allem, dass man auch mit wenig Mitteln gelungene Aufführungen machen kann. Uwe Eric Laufenberg in seiner letzten Opernarbeit als Intendant des Hans Otto Theaters, bevor er nächstes Jahr zur Kölner Oper wechselt, greift zu einem entscheidenden Verfremdungseffekt: Selim und Osmin sprechen Arabisch. Obwohl man nichts versteht, versteht man plötzlich viel deutlicher, um was es eigentlich geht: um den Zusammenprall zweier Kulturen, die aneinander vorbeireden. Natürlich ist es nichts Neues, die „Entführung“ im Kontext der jahrhundertealten und bis heute blutig-virulenten Konflikte zwischen Islam und Westen zu lesen. Aber Laufenbergs Regie ist kein billiger Versuch einer Aktualisierung, der sich ja in Zeiten von Touristen-Entführungen durchaus aufgedrängt hätte. Vielmehr wird der Abend immer überzeugend und schlüssig – und dabei wohltuend zurückhaltend – aus seiner eigenen Ästhetik heraus entwickelt, Bauchtänzerinnen und orientalische Rundbögen eingeschlossen. Keine revolutionär neuen Bilder wie bei Calixto Bieitos Inszenierung an der Komischen Oper Berlin , dafür aber eine solide, gut gemachte Inszenierung eines tausend Mal gespielten Stücks. Herausragend ist Wolf Matthias Friedrich als mit Taliban-Turban bewehrter Osmin, in dessen Augen der Wahnsinn glimmt und schimmert und der die Kalaschnikow schnell bei der Hand hat – eine Rampensau im besten Sinne. Sein Arabisch ist nicht so gut wie das von Ishan Othman als Selim, aber der ist ja auch gebürtiger Iraker. Bei den beiden vibriert die Bühne vor Spannung. ... Jutta Böhnert hat zwar zu Beginn Schwierigkeiten, den Glanz ihres reizvoll schattierten Soprans zu entfalten, steigert sich aber vor allem in den Quartetten des zweiten Aktes. ... Konrad Junghänel dirigiert mit äußerst disziplinierten, genau dosierten Gesten. Das Ergebnis ist ein kristalliner, scharfer, ausdrucksvoller Klang. Mit so einem Orchester ist Brandenburg noch nicht verloren.

Tagesspiegel, 29.09.2008

Es ist erfreulich, wenn ein Regisseur mit Gespür für Musik und Respekt vor Mozarts Ideen die Zügel führt. .... Laufenbergs Inszenierung klebt nicht an betulichen Traditionen fest, sondern setzt behutsam aktuelle Akzente. Für den, der sehen und denken möchte, gibt es durchaus Anregungen. Diese Inszenierung wirkt wie ein angenehm-leichtes Soufflé, das man auch dann noch gern verzehrt, wenn der Magen bereits gefüllt ist mit schwererer Kost aus dem Arsenal unserer mediengesättigten Welt. ...Anrührend wirkt es, wenn Konstanze bei der Arie „Traurigkeit ward mir zum Lose“ einsam zu Bett geht, kintoppmäßig turbulent geht es oftmals zwischen Pedrillo und Blondchen zu, geradezu chaplinesk wird es bei Pedrillos Draufgänger-Arie „Frisch zum Kampfe“. Tänzerisch raumgreifende Figurenkonstellationen verdeutlichen die Spannungen der umwerfend bewegenden, vielschichtigen Musik des großen Quartetts am Ende des zweiten Akts. Mit einer ansehnlichen Werkzeugsammlung trägt Osmin zu Konstanzes Marterarie bei. Dass aber Belmonte währenddessen gequält wird, steht nicht im Text, fällt aber wohl unter das allgemeine Regiestichwort „Visualisierung“. Dazu gehört auch, dass die züchtig schwarz verhüllten Haremsdamen am Ende die Hüllen fallen lassen und ein paar Takte lang lasziven Bauchtanz markieren dürfen, zirkushaft.
Die sehr gut besetzten Sänger überzeugen weitestgehend. An erster Stelle rangiert die Konstanze von Jutta Böhnert, deren grazile Erscheinung in erstaunlichem Kontrast zur Stimme steht. Mit ihrem glockigen, gut geführten Sopran vermag die Sängerin alle emotionalen Register von Leidenschaft, Empfindsamkeit und Standhaftigkeit glaubwürdig zu ziehen. Belmonte wird von dem jungen in Potsdam geborenen Tenor Marco Jentzsch gesungen. Er verfügt über eine schöne Stimme mit hellem Timbre, beherrscht Artikulation und Phrasierung. ...Anna Palimina gibt glaubhaft ein aus derbem Holz geschnitztes Blondchen, hier einmal ganz antiklischeehaft dunkelhaarig. Sie singt mit Aplomb und Temperament und gibt ein gutes Pendant zu Pedrillo. Der Australier John Heuzenroeder zeigt buffoneske Spiellust und schönen Tenorglanz. Viel Bühnenpräsenz zeigt auch Wolf Matthias Friedrich, der die boshaften Facetten seiner Rolle als Osmin genüsslich auskostet und stimmlich voll auf der Höhe ist. Ein glücklicher, Authentizität verleihender Regieeinfall ist es, den Selim Bassa von dem irakischen Schauspieler Ihsan Othman in arabischer Sprache spielen zu lassen. Die stark reduzierte Kammerakademie Potsdam spielt unter der Leitung von Konrad Junghänel schlackenfrei, präzise und temperamentvoll.
Eine gelungene Inszenierung, die zeigt, dass die „Entführung aus dem Serail“ durchaus in solch bescheidener Version großen Hör- und Sehgenuss bieten kann.

Potsdamer Neueste Nachrichten, 20.09.2008

Wohnt im Westen die Freiheit? Und im Osten die Gewalt? Trüben Europäer moralisch kein Wässerchen, derweil Muslime selbiges gern mit Blut verdicken? Eignet sich Mozarts komisch-trauriger Plot um die schöne Konstanze, die, ihres spanischen Verlobten Belmonte entrissen, auf ihre „Entführung aus dem Serail“ des politisch und auch sonst recht potenten Bassa Selim wartet, für die Bebilderung eines Kampfes der Zivilisationen? Um es gleich vorweg zu sagen: Uwe Eric Laufenberg tappt mit seiner letzten Opernregie, die er als Intendant des Hans Otto Theaters für die diesjährige Potsdamer Winteroper abliefert, nicht in die 11.-September-Aktualisierungsfalle. Auch wenn schon mal eine Maschinengewehrsalve abgefeuert wird. Populistisch plump ist es eher, wenn er auf der Rampe des Schlosstheaters den Hut, oder in diesem Fall: den Turban, „für die Kultur in Brandenburg“ herumgehen lässt. Geschenkt. Alles in allem hält er die Balance – der Vernunft.Was mangels Quellen bezüglich der Frage, was Mozart mit seinem 1782 uraufgeführten Dreiakter überhaupt gewollt haben könnte, nicht gerade leicht zu bewerkstelligen ist: Eine herzzerreißende Lovestory, die mit frivolem Exotismus kitzelte? Einen Quotenbringer, der das Faible des zeitgenössischen Publikums für all das bediente, was irgendwie morgenländisch war und zur Verniedlichung taugte? Oder doch eine Botschaft à la „Nathan der Weise“, jene nämlich, dass die vermeintlich bösen Kräfte sich nicht unbedingt als solche erweisen müssen? Laufenberg bringt von allem etwas unter, erkennbar energisch plädiert er freilich für die letzte Variante: Orient und Okzident begegnen sich im heftigen Konflikt, lösen diesen aber durch Umsicht und Pardon, was im Serail dann wiederum Weiterungen betreffs Frauenemanzipation nach sich zieht. Die finalen Verwünschungen des Aufsehers Osmin sind in dieser Lesart nichts mehr als wirkungslose, lächerliche Residuen des Fanatismus....Dadurch wird drohendes Gutmenschenpathos bereits optisch abgewehrt, wie ohnehin Laufenbergs gelegentliche Heiterkeitsideen dafür sorgen, dass bei allem Ernst immer noch das Spiel im Spiele ist: Da klettert Belmonte wie Kai aus der Kiste aus einem Versandpaket, da beschwert sich das Orchester, wenn er sich durch den Graben aufs Podium drängelt. Nicht neu, aber gescheit ist, dass Bassa Selim seine Sprechrolle arabisch absolvieren darf. Auf diese Weise muss man ob des ihm vom Libretto verordneten Edelgeschwätzes nicht die Augen verdrehen und bekommt zugleich vorgeführt, dass die Verständigung zwischen einander fremden Kulturen eine ziemlich mühsame Sache bleibt. Der aus dem Irak gebürtige Mime Ihsan Othmann ist mithin eine Idealbesetzung.

Märkische Allgemeine Zeitung, 29.09.2008
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