GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

NATHAN DER WEISE

23.09.2006
Hans Otto Theater Potsdam, Neues Theater am See
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Gisbert Jäkel
Kostüme:
Jessica Karge
Mit:
Günter Junghans, Javeh Asefdjah ,Hannes Wegener, Rita Felmeier, Rahel Ohm, Werner Eng, Tobia Rott, Roland Kuchenbuch, Andreas Hermann
Rezensionen:

Hier brennt das Haus wirklich. Lessings „Nathan der Weise“ als Thriller der Gehetzten, Gejagten, alle kriegsverschmutzt – das Schauspiel findet unter arabischen Straßenschildern, im Auto- und Geschosslärm statt. Lessing, ein Autor von Al-Djazira und CNN. Oder: deutscher „Brennpunkt“. Klassik fern, aber Nahost.
Hannes Wegeners Tempelherr spielt in neurotischer Geladenheit, wie ein junger Mensch aufgerieben wird von Spannungen aus Glaubenssehnsucht und bitterlicher Ernüchterung.
Die Ring-Parabel: (Günter) Junghans ganz konzentriert, da windet einer keine Geistes-Kränze, da windet sich einer hochspannend aus der Schlinge des Verhörs.
Laufenbergs laute, gnadenlos forcierte Inszenierung endet als klanggewaltiges Opern-Finale. Die Harmonie gleicht einem orchestralem Sturm aus Schwung und Glück. Dessen Fassungslosigkeit zeigt hohe Form. In der Kraft dieser letzten Minute ist der Nahe Osten wie vergessen. Kleine Menschen unter hohem Bühnenhimmel: das große schöne Märchen. Als gäb’s dies tatsächlich: das sittlich reine Menschenwesen, so befreit von abgrenzungstollem Ethikwahn, dass es gottgelenkter Erlösung im Grunde gar nicht mehr bedarf.

Neues Deutschland, 14.10.2006

Dieser „Nathan“ kommt als Melodram daher. Er spannt den Bogen von arabischer Folklore über Mozarts Requiem bis zu Beethovens 9. Sinfonie, in der alle Menschen Brüder werden. Dazwischen verdunkeln Akkorde eines Bombenhagels den Theaterhimmel. Regisseur Uwe Eric Laufenberg siedelt das fast 230 Jahre alte dramatische Gedicht Lessings mitten im Pulverfass des heutigen Nah-Ost-Konflikts an. Das, was wir allabendlich in unsere Wohnzimmer hinein flimmern sehen, bekommt auf der Bühne seine greifbaren, fratzenhaften Konturen.
Auch hier – auf der Bühne des neuen Theaterhauses – steht ein Fernseher und zeigt Bilder von Panzern, die durch die Wüste rollen, mit Toten gesäumte Schlachtfelder, brennende amerikanische Flaggen. Plötzlich gibt es eine Stichflamme aus dem Fernsehgerät. Das Bild ist dunkel, die Szenerie wird auf die Spielfläche verlagert. Dort kommt gerade Nathan, der Kaufmann, von einer Geschäftsreise zurück. Seine Diener rollen zig vollbeladene schwarze Koffer hinterdrein. Der reiche Jude hat also seinen Reichtum vermehrt. Doch sein wichtigster „Besitz“ ist Recha, die geliebte Tochter. Und gerade die wurde während seiner Abwesenheit fast verbrannt. Hätte sie nicht der Tempelherr, ein junger stattlicher Christ, vor dem Tod gerettet.
Und da beginnen die religionsverstrickten Probleme, in der schließlich auch noch Sultan Saladin, der Muselmann, ein mächtiges Wort mitzureden hat. Der führt sich auf wie ein herausgeputzter Salonlöwe, die Knarre stets locker im Anschlag. Seine Schwester Sittah versucht dem etwas grob gestrickten Lebemann ein wenig Feinschliff zu geben. Sie beide – von Rita Feldmeier und Werner Eng trefflich gespielt – sind ein fürstliches Intrigantenpaar, das sich scheinbar auch im Bett bestens versteht.
Laufenberg geizt nicht mit Anspielungen und Überhöhungen, die der Geschichte Spannung verleihen, sie aber auch mit überstrapazierten Ideen ab und an belasten. Wenn Tobias Rott als Derwisch über die Bühne fegt und sich slapstickartig mit seinen drei permanent klingelnden Handys eine Dauerschlacht liefert, verpufft sein Text zum Teil ungehört im Bühnenrund. Überhaupt ist in diesem akustisch empfindsamen Haus eine hohe Sprachkultur gefordert. Und die bringen in dieser Inszenierung fast alle Schauspieler mit. Allen voran Günter Junghans, der seinen Nathan sehr konzentriert und eindrücklich spielt. Er ist nicht der über alles stehende, vor Weisheit triefende Gelehrte, sondern ein Mann zum Anfassen, der nicht viel Gewese um sich macht.
Seine berühmte Ringparabel spricht er in dem Schießkeller des Sultans, der mit Blutspuren und leuchtend-roten Gummihandschuhen an eine Folterkammer erinnert. Der Lichtkegel ist auf Nathan gerichtet. Er erzählt die Geschichte vom Vater und seinen drei Söhnen, die wissen wollen, welcher ihm der liebste sei, ohne Pathos, eher wie ein tief blickender Märchenerzähler aus Tausendundeiner Nacht. Doch Laufenberg versucht konsequent, gegen das allzu Märchenhafte des Lessing-Stücks anzugehen. Die von Javeh Asefdjah gespielte Recha ist ein Mädchen im Backfischalter: mit Brille und weißen Kniestrümpfen, aber einer ganzen Kollektion von Hackenschuhen. Sie begegnet ihrer ersten sexuellen Wallung mit einem Gemisch von Unbeholfenheit und Selbstbewusstsein. Doch noch ist die Schauspielerin mit ihrer Rolle nicht ganz verwachsen, kommt sie auch sprachlich nur schwer über die Bühne. Hannes Wegener als Tempelherr ist hingegen das reinste Kraftpaket. Er brilliert zwischen Rebell und entflammtem Liebhaber und weiß die Nuancen mit Charme und großer Präsenz auszuloten.
Warum er allerdings vor lauter Liebesglück auf der Bühne urinieren muss, ist genauso geschmäcklerisch wie das Hosenrunterlassen des zwischen den Welten changierenden Derwisch. Manchmal ist weniger mehr. So wie auch das ständige Gezappe Saladins durch die TV-Welt und der eingebaute Text Harold Pinters anlässlich seiner Nobelpreisverleihung über die mörderische Rambopolitik von Bush zu viel des Guten sind. Der Zuschauer versteht’s auch ohne Holzhammer.
Viel eindringlicher ist hingegen die Bühne Gisbert Jäkels, die von einer riesigen verschiebbaren Mauer durchtrennt wird. Sie lässt die Kluften zwischen den von Vorurteilen gespeisten Religionen fühlbar werden. In dieser engen hohen Mauer kommt auch der Patriarch herein gefahren: als seniler Tattergreis mit kurzen Geistesblitzen. Andreas Herrmann liefert – bestens assistiert von „Klosterbruder“ Roland Kuchenbuch – in dieser kurzen Szene ein Bonmot geschliffener Sprache und pointierter Antiquiertheit.
Das Ende ist dann ganz im Stile Hollywoods. Nachdem Daja, Rechas Gesellschafterin (mit Rahel Ohm ebenfalls gut besetzt) ausgeplaudert hat, dass Recha gar keine Jüdin ist, und das Karussell der Verwicklungen und Demütigungen sich schließlich ausgedreht hat, fallen sich alle in die Arme – Christ, Jude, Muselmann. Es fehlen bloß noch die aufsteigenden bunten Luftballons. So schön könnte die Welt sein.
Laufenberg verzichtet darauf, diesen Traum durch die Bitternis der Realität zu trüben. Ein anregender Abend, der den großen Spagat schafft, Lessing fühlbar ins Heute zu holen.

Potsdamer Neueste Nachrichten, 25.09.2006

Als höchst aktuelle Geschichte über das Spannungsfeld zwischen Menschen, Religionen und Ideologien inszeniert Uwe Eric Laufenberg Lessings ‚Nathan der Weise’ in Gottfried Böhms neuem Theaterbau. Das gelingt kühn und klug und wird begeistert gefeiert.

Financial Times Deutschland, 25.09.2006

Lessings ‚Nathan der Weise’ wird dann zum engagiert applaudierten Höhepunkt der Eröffnung. // Laufenberg stellt das ‚dramatische Gedicht’ ins aktuelle, kampflärmgeprägte Heute, Mozart-Requiem mit TV-Kampfhandlungen, streng verhüllten Muslimfrauen, pistolenlässigem Sultan (Werner Eng), in Religion und Liebe eiferndem jungen Tempelherrn (Hannes Wegener) und einem leisen, klugen Nathan (Günter Junghans), der mit der Ringparabel kitsch- und pathosfrei umgeht und den Abend in nachdenklich gedankenvolle, begeistert applaudierte Höhe hebt.

Märkische Oderzeitung, 25.09.2006

Wie aktuell Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ gerade heute ist, zeigt Intendant Uwe Eric Laufenberg in seiner mit intelligenten Gegenwartsbezügen nur so gespickten Inszenierung. Bei der Ringparabel, als Nathan erklärt, einzig das praktische Handeln im Sinne von Toleranz und Humanität sei der Maßstab, läuft Günter Junghans in der Titelrolle zur Hochform auf. Aus seinem Munde klingen Lessings Verse wie eine erlösende Antwort auf die Probleme unserer Zeit.

Berliner Morgenpost, 25.09.2006
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