Wilhelm Müller/ Franz Schubert

WINTERREISE-eine szenische Version

12.11.2004
Hans Otto Theater Potsdam
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Claudia Jenatsch
Kostüme:
Claudia Jenatsch
Mit:
Jan Buchwald, Bariton und Cornelius Meister, Klavier und Anita Mangelsdorf, Monika Schöne, Laura Laufenberg
Rezensionen:

Auf den ersten Blick erkennt der Betrachter denselben Raum, in dem Laufenberg seine erste Inszenierung im Schlosstheater des Neuen Palais, "Lina" von Markus Hille spielen läßt. Jetzt ist dies ein Ort der Verwüstung. Und man ahnt: die Geliebte, der dieser Mann nachtrauert, hat nicht mit einem anderen ihr Glück gefunden.

Berliner Morgenpost, 17.11.2004

Da kommt einer nach Hause, er trägt noch den Soldatenrock und den Tornister und die Maschinenpistole, er zieht nicht fremd aus, er zieht als Fremder wieder ein, denn seine Wohnung ist zerstört, die Scheiben zerbrochen, der Boden geborsten, sein "Hallo" verhallt ohne Antwort im Stiegenhaus. Das ist die Ausgangssituation von Uwe Eric Laufenbergs "szenischer Version" von Schuberts "Winterreise", die am Freitag im Schlosstheater im Potsdamer Neuen Palais vorgestellt wurde. Laufenberg hat seine Interpreation historisch genau geortet, dieser Wanderer kommt aus dem zweiten Weltkrieg heim. Und dennoch spürt man in der Struktur dieser Heimkehr auch unsere Zeit: Vorbei die hitzigen, überspannten Träume von der Weltherrschaft, damals die des Faschismus, heute die der alles regierenden Marktwirtschaft. Man lebt an denselben Orten wie bisher, man findet sich aber dennoch nicht mehr zurecht. Im Haus leben Frauen dreier Generationen, aber sie scheinen ihn gar nicht zu bemerken und schälen unbeeindruckt Kartoffeln. Die "Winterreise" als deutsches Stück- Laufenbergs Inszenierung überrascht, verblüfft, regt an. Sie setzt das Skalpell an einem bestimmten Punkt des Liederzyklus an und setzt Gehalte frei, die man nicht erwartet hätte.

Berliner Zeitung, 15.11.2004

Eine Winterreise von Berlin nach Potsdam. Aus dem Dunkel des Parks von Sanssouci tauchen im Licht des Neuen Palais bekannte Gesichter auf, Theaterkritiker und Künstlerkollegen des neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg, um dessen szenische Version der "Winterreise" in Augenschein zu nehmen. Das Schlosstheater ist eine der vielen Spielstätten, auf die sich das Hans Otto Theater derzeit in der Beschränkung improvisierend verteilt, bis das Zentrum an der Schiffbauergasse endgültig fertig sein wird. Der Name Laufenberg steht dafür ein, dass Potsdams Theater neue Neugier weckt. Das Fesselnde am Konzept Laufenbergs ist, dass es mehrere Ebenen von Erinnerungen anbietet. Die eine kommt aus der Musik und Dichtung, ihrer Liebesenttäuschung, Todesahnung, die zweite aus der Unmittelbarkeit einer Nachkriegsatmosphäre, einem "Draußen vor der Tür"- Gefühl: Vielleicht hat die Liebeste einen Anderen genommen, weil sie diesem Reicheren die ersten Nylons verdankt ("Im Dorfe"). Das Fräuleinwunder erscheint auch als alte Frau ("Der greise Kopf") und als Kind, das auf dem Totenacker eine Hopse vorfindet: In dem sehr langsamen Tempo des Wirthaus- Liedes gewinnt das Kinderspiel eine magische Wirkung. Vom Tonband poltert der Krieg, auf Filmbändern wird marschiert. Das Kunstwerk bewegt sich in einem Ambiente von Lebenswahrheit. Einmal denkt der Wanderer, leise vor sich hin pfeifend, an Rosen in Tirol, und wenn er mit Schubert von bunten Blumen träumt, "so wie wohl blühen im Mai" überrascht den Zuschauer ein Stückchen Heimatfilm. Man lacht- und fühlt sogleich die bittere Konsequenz der Täuschung.

Der Tagesspiegel, 15.11.2004

Aus dem Wanderer, der die winterlich kalte Natur durschreitet wie einen von allen Hoffnungen verlassenen Trauerraum, wird bei Laufenberg ein entwurzelter, dem Tode geweihter Soldat. Der 30jährige Jan Buchwald leiht ihm seine Stimme. Und die ist so kraftvoll ud robust und so zartfühlend und melancholisch, dass man den Ohren kaum trauen mag. Der von der Hamburger Staatsoper ausgeliehene Bariton dürfte der deutschen Opernwelt noch manch großen Abend schenken. Auch ist er ein fähiger Darsteller und kann die nicht eben leichten Schubert- Lieder genausogut im Bett liegend wie am Tisch sitzend oder im Rucksack wühlend intonieren. Cornelius Meister, der mit seinen gerade einmal 24 Jahren schon einige Preise einheimsen konnte und demnächst Generalmusikdirektor in Heidelberg wird, begleitet Buchwald am Klavier. Mit schwebender Eleganz und zupackendem Furor lotet er die widerstreitenden Gefühlslagen des Wanderers aus und wird schließlich sogar zum Bühnenakteur. Wie ein Todesbote schleicht er durchs Geschehen und findet immer wieder neue Töne für die Visionen des innerlich vereisten Soldaten. Jubelnder, berechtigter Applaus.

Märkische Allgemeine Zeitung, 15.11.2004
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