Anton Tschechow

PLATONOW

19.05.2004
Maxim Gorki Theater
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Kaspar Glarner
Kostüme:
Jessica Karge
Mit:
Michael Wenninger, Leslie Malton, Regine Zimmermann, Felix Rech, Rainer Kühn, Norman Schenk, Rosa Enskat, Manfred Borges, Hans- Jochen Wagner, Wolfgang Hosfeld, Eckhard Strehle, Anna Kubin, Silvio Hildebandt, Christian Mark, Karl Schneider, Frank Günther, Gitta Lachmannl
Rezensionen:

Platonow" (...) wird angesichts von "Möwe" und "Kirschgarten" selten gespielt, ist lang und braucht viele gute Schauspieler zum Ensemblespiel. Uwe Eric Laufenberg gibt ihm das alles im Maxim Gorki Theater, wo er in den letzten Jahren mit Hauptmanns "Ratten", mit Döblins "Berlin Alexanderplatz", mit Wedekinds "Lulu" nachhaltige Theatererlebnisse bereitete. Zum Abschied und vor Antritt seiner Intendanz in Potsdam gelingt ihm ein sehr sehenswerter Theaterabend. Man sieht ein großes Menschentableau, ein fein austariertes Ensemblespiel, bei dem sich keiner vordrängelt und doch jeder seiner Figur Profil und Bedeutung sichert.

MOZ, 28.05.2004

Der entrückteSchwärmer, sanfte Träumer, der gründelnde Philosoph denken die Damen und sind entzückt. Doch dieser Platonow kann auch Eis und Stahl in seine Pupillen schieben und all den Menschen um ihn die Masken vom Gesicht reißen. Uwe Eric Laufenberg, designierter Theater- Chef in Potsdam, inszenierte energisch zupackend und doch elegisch auskostend am Berliner Gorki- Theater. In einem versiften, wie ein Irrgarten verschachtelten Salon (Kaspar Glarner). Erst als komisch depressives, riesiges Russen-Rondo aus Geplapper und Gesaufe, Geherze und Gebrüte, dann als tragödische Klamotte mit Mord und Totschlag. Und mit Michael Wenninger in der Hauptrolle als süßer Junge, böser Bube.

Die Welt, 28.05.2004

Im Gorki Theater wird die Vergeblichkeit mit Verkommenheit ersetzt. Auf diesem Zustand reitet die Aufführung herum. Im maroden, ehemals prachtvollen Salon der Generalswitwe Anna Petrowna trudeln auf verschwommenen, weil verspiegelten Wegen die Gäste zum Sommerfest ein. Der Text wird flüchtig dahingesäuselt..... Die Mitteilung lautet, daß nicht wichtig ist, was gesagt wird. Es handelt sich um einen äußerst unscharfen Einstieg und womöglich um den vorsorglichen Versuch, die Textmassen, die noch auf den Saal zukommen werden, herunterzuspielen. (...)Die Leute ertragen sich nur noch im Rausch, sie haben Schulden und kein Geld, sie behandeln sich gegenseitig wie Abschaum. Dieser Art tänzeln, torkeln, taumeln die Typen am Abgrund.

Berliner Zeitung, 21.05.2004

Der Abend entwickelt dann, in dem üppigen, fast jugendstilig surrealen Schloß- und Spiegelanwesen der Gastgeberin, gehörige Gefühlsstickigkeit. Die Spannungen zwischen diesen "überflüssigen" Menschen funken mit Witz und Gemeinheit. Zwischen der Generalin und einem ihr verfallenen Pferderäuber gibt es eine starke Demonstration proletarischen Stilempfindens und "herrschaftlich" kalter Herablassung. Später aber, vor dem unversehends steril frühsowjetischen Schulhaus kippt der Abend glattweg in die melodramatische Klamotte. Laufenberg will Tschechows durchschaubare Konstruktion nicht mehr atmosphärisch aufladen. Verzweifeltes Begehren heißt hier nur: platte Sexualität und Farce. Herzensgepolter. Geschlechtsgefuchtel. Tschechow als Labiche.

Berliner Morgenpost, 21.05.2004

Dass Laufenberg sich ausgerechnet mit Tschechows Stück vom Gorki- Theater verabschiedet, kann man vielleicht als ironischen Fingerzeig verstehen, denn dem erst im Nachlass gefundenen Drama fehlten Deckblatt und Titel und es kommt mal als "Platonow", mal als "Die Vaterlosen" auf die Bühne. Und vater- heimat-, und richtungslos sind ja nicht nur die bei Anna Petrowna versammelten Sehnsuchtsmenschen und Lebenszeitvernichter, sondern auch das ziellos durch den Zeitgeist schlingernde Theater und sein nach Orientierung suchendes Publikum. Während Laufenberg seine neue Heimat in Potsdam finden und vielleicht dem Theater eine andere Richtung geben wird, zeigt er noch einmal, wie komisch und wie traurig es ist, dass der Mensch immer Großes will und doch nur Kleines bewirkt. Platonow (Michael Wenninger) ist überspannt und nervös, verwirrt und zerstreut. Er redet, raucht und trinkt in einem fort. Warum an diesem gescheiterten Weltverbesserer und selbstverliebten Egomanen die Frauen kleben, bleibt ein Rätsel. Seine fügsame Gattin Sascha (Anna Kubin) will sich das Leben nehmen, Gutsbesitzerin Marja erträft geduldig die gröbsten Beleidigungen, Generalswitwe Anna (Leslie Malton) umgarnt den Geliebten wie eine rollige Katze, die zarte Sofia (Regine Zimmermann) will mit Platonow fliehen und erschießt den feigen Utopie- Zerstörer. Solange die verdrängten Wünsche nur ausgebrütet werden und die sich aus Langeweile in die Liebe flüchtenden Melancholiker sehnsuchtsvoll umkreisen, gleicht Laufenbergs Inszenierung einer präzisen, psychologischen Studie..

Märkische Allgemeine Zeitung, 21.04.2004

Dann aber , die Uhr geht in die letzte Tagesstunde, der letzte Akt. Laufenberg, der nie Scheu hatte vor Derbheit, Knalleffekt und dicker Farbe, verbindet jetzt szenischen Furor mit einem hochspannenden Psychodrama. Der Frauen letzter Heul-K(r)ampf um Platonow. Dessen memmenschluchzendes Verblassen auf dem Sofa. Sehnsucht und Tobsucht wälzen sich in Köpfen und auf dem Boden. Michael Wenningers Titelunheld (im Intellektuellenschwarz): Bibbernd, abgerissen, weggestoßen flattert er mit den Armen, ein gerupfter Hahn, das eigene Elend als großen Schauder-Auftritt zelebrierend. Letzte Zuckungen eines Lebens, das von Anfang an ein frustrierter Reflex war auf ein ganz anderes, unerreichbares Dasein. Dreifaltigkeit von Hamlet, Don Juan und Oblomow. Nur wer er wirklich ist, erfährt er nie. (...) Ein Beispiel fürs Ergründen des Verborgenen zwischen den Zeilen bietet Wolfgang Hosfeld als reicher Jude Abram: Hinter der stoisch freundlichen, verhemmten Biedermanns-Maske eines Stan Laurel, der ständig eine Spieluhr für die Generalswitwe vor sich herträgt, lauert die finanzielle Vernichtungskraft eines verletzten Bösen. Leslie Maltons Generalswitwe ist eine schmale, nervöse erotische Irrgängerin, die zum Manne geht und die Reitpeitsche nicht vergisst. Deren Gesicht in schöner weicher Gier ihren Traum aufleuchten lässt: den eigenen nackten Körper. Die aber begriffen hat, dass aus ihrem Bett keine Welt mehr wird. Sofia, die Gegenspielerin: jung verheiratet, jung verloren. Regine Zimmermann spielt sie als eine Frau, die in ihrem Sehnen nach Platonow offenbart: Nicht Liebe erwacht in einem Menschen, es erwacht stets die Gefährlichkeit der Liebe. Die Schauspielerin hat eine statuarische Abwesenheit im Ausdruck, die von sehr weit her mit großen Augen das Leben anstarrt. Staunend. Mit einer unberechenbaren Trauer , dieser illegitimen Schwester der Mordlust. Wenn so ein Mensch die Fassung verliert, kommt ein Drama auf seinen Kern: Kalte Herzen bluten nicht, aber heiße Herzen können der Stein sein, der erschlägt. Siehe da: Sofia, der einzig wirklich fühlende Mensch : sie richtet die Pistole auf Platonow. Sie wurde von ihm gleichsam getötet, ihn hat sie nur erschossen. Im Verröcheln, im Erliegen, in der letzten Hetze, im letzten Schrei und der letzten großen Lächerlichkeit dieser Scheinlebenden, da ist die Inszenierung doch noch von einer Dramatik gewesen, die bedenkenswerten Nachklang schafft.

NEUES DEUTSCHLAND, 21.05.2004

Es ist zum Lachen. Es ist zum Heulen. Oder auch: der nackte Wahnsinn. Viele Frauen verzehren sich nach einem Mann, und das Seufzen und Flehen hätte kein Ende, würde der erfolglos angebetete und dann ingrimmig gehaßte Kerl nicht am Ende über den Haufen geschossen. Eine untergründiges Fieber schüttelt alle Figuren. Sie trinken und feiern Feste, feilschen und schnorren- aus Langeweile. Gefühle gehen von Hand zu Hand wie Geld, sie sind schmutziger noch als die Rubelscheine, die erschachert, verschwendet, zerissen werden. Selbstmitleid treibt giftige Blüten, Verlogenheit triumphiert. Ein monströsen, böses Stück, das böseste und überlängste, das Tschechow geschrieben hat. (...) Uwe Eric Laufenberg bleibt zunächst überraschend bescheiden am Text, sieht den Figuren gleichsam staunend zu, aus einem Abstand, den schon der Bühnenbau erzwingt. Das Spiel findet oft in der Tiefe und im Hintergrund der Bühne statt. Ob Salon oder Garten, ob Schulhof oder unaufgeräumtes Durchgangszimmer: es ist eine düstere Welt, voller Verstecke und Geheimnisse, wie von feinem Staub überzogen. Laufenberg läßt das Stück in seiner Zeit, spitzt nicht zu, breitet mit unaufgeregter Genauigkeit ein Leben aus, daß sich selbst verzehrt. Erst im letzten Akt treibt der Regisseur das Geschehen um Platonow und die liebeshungrigen Frauen rüde zupackend bis in die Groteske. Jetzt fallen Männer und Frauen brutal übereinander her, die Prügeleien münden in Totschlag- oder einen fast vollzogenen wütenden Beischlaf. Gier, Zorn, Raserei werden immer von Neuem angefacht, und jetzt ist es wirklich zum Lachen und zum Heulen. Bis wieder die Müdigkeit triumphiert und eine Stille, die aus der Erschöpfung kommt.

Der Tagesspiegel, 21.05.2004
/