Gerhart Hauptmann

Michael Kramer

04.11.2022
Inszenierung:
Ingo Kerkhof
Bühne:
Anne Neuser
Kostüme:
Britta Leonhardt
Mit:
Premierenbesetzung 2022.2023 => Michael Kramer | Uwe Eric Laufenberg * Frau Kramer | Evelyn M. Faber * Michaline | Lena Hilsdorf * Arnold | Paul Simon * Lachmann | Matze Vogel * Alwine | Mylène Dück * Liese Bänsch | Klara Wördemann * Quantmeyer | Noah L. Perktold * u.a.
Termine:

Spielzeit 2022.2023 / 2023.2024

Termine und Besetzungen:
www.staatstheater-wiesbaden.de

Trailer | »Michael Kramer«

Rezensionen:

Verzweifelte Liebe eines Vaters
Wiesbaden Gerhart Hauptmanns naturalistisches Drama „Michael Kramer“ am Hessischen Staatstheater
Der Kunstprofessor Michael Kramer ist kein Künstler. Mit Zähigkeit und Fleiß hat er es geschafft, sich Ansehen und einen einträglichen Posten zu verschaffen, doch ist er nur ein Kunsthandwerker geblieben. Keiner weiß es besser als er selbst. Kein Wunder, dass er niemandem das große Christusgemälde zeigen will, an dem er seit Jahren ergebnislos arbeitet.
Gerhart Hauptmann schrieb das Künstlerdrama „Michael Kramer“ im Jahr 1900, in einer Epoche, als der hundert Jahre zuvor ausgebrochene Kult um das männliche Genie noch in voller Blüte stand. Anders als die Braven und Fleißigen muss das Genie nicht hart für seinen Erfolg arbeiten, ihm fliegt alles zu, dafür wird ihm gestattet, auf allen anderen Gebieten des Lebens ein Totalversager zu sein. Ein solcher ist Kramers Sohn Arnold (Paul Simon), der zwar mit lockerer Hand höchst lebendige Porträts zu Papier bringen kann, seine Tage aber im Bett und die Nächte in Kneipen verbringt. Alle Versuche seiner Eltern, das fetthaarige, kettenrauchende Junggenie auf die halbwegs bürgerliche Spur zu bringen, scheitern. Sie kommen an den verschlossenen jungen Mann nicht heran.
Zu den Merkwürdigkeiten des selten gespielten Stücks zählt das Fehlen eines eigentlichen Konflikts, eines nachvollziehbaren Grunds für Arnolds Verhalten. In der einzigen Szene, in der Michael Kramer (Uwe Eric Laufenberg) und sein Sohn direkt aufeinandertreffen, flammt zwar einmal der cholerische Zorn des Vaters auf, doch selbst Andeutungen über die jahrzehntelange Überforderung des Sohnes durch den schulmeisternden Vater machen seine Totalrebellion nicht plausibel. Immerhin aber zeigt sich hier die verzweifelte Liebe des Vaters zum ersten Mal.
Man versteht, weshalb Intendant Uwe Eric Laufenberg die Titelrolle in Ingo Kerkhofs Inszenierung selbst spielen wollte, und er gibt diesen Michael Kramer mit so viel Wärme, dass es tatsächlich schwerfällt, sich ihn als den Familientyrannen vorzustellen, den seine Frau (Evelyn M.Faber) in ihm sieht. Sein großer Schlussmonolog zeigt ihn, den durch Suizid gestorbenen Arnold im Schoß gebettet, als männliche Pietà, gebrochen und um all die Hoffnungen gebracht, die er auf den Sohn projizierte. Die Talente seiner Tochter Michaline (Lena Hilsdorf) schätzte er dagegen wie die eigenen ein: zu mittelmäßig, um wirklich große Kunst zu schaffen.
Ingo Kerkhofs Inszenierung holt das naturalistische Drama auf nahezu leerer Bühne (Anne Neuser) aus der Jahrhundertwende in eine vage an die Sechzigerjahre erinnernde Zeitlosigkeit (Kostüme Britta Leonhardt).
Das Hinzufügen der symbolistischen Gedichte von Albert Giraud (deutsch von Otto Erich Hartleben) aus Arnold Schönbergs Liedzyklus „Pierrot Lunaire“, der auch Felix Krolls unheimlich blubbernden Soundtrack inspiriert hat, ist eine reizvolle Idee. Sie spielt womöglich auch ein wenig mit dem Genie-Wahnsinn-Motiv und lässt etwas von der Stimmung um 1900 erahnen. Als solche gelingt das Werk am Staatstheater in Wiesbaden dank der starken Darsteller bewegend.

Matthias Bischoff, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2022

An der nächsten Schwelle
Der Schmerzensvater und die Moderne: „Michael Kramer“ in Wiesbaden.

In einer klugen und ausgetüftelten Inszenierung identifiziert das Staatstheater Wiesbaden Gerhart Hauptmanns im Jahr 1900 veröffentlichten „Michael Kramer“ als Schwellenwerk zum 20. Jahrhundert. Im Stück, das er allerdings nicht überleben wird, ist es Kramers Sohn Arnold, der auf die expressionistische Zukunft weist, wenn man es so lesen will, und da in Wiesbaden ein strenges Bilderverbot herrscht, darf man es sich erst recht so vorstellen.

Aber auch jenseits der zentralen Konfliktlinien – der zurück Richtung 19. Jahrhundert gewandte wackere Kunstmaler und Titelheld, sein offenbar viel begabterer Sohn, der sich (aus nicht restlos erfindlichen Gründen) einer möglichen großen Zukunft verschließt – legt Ingo Kerkhofs Inszenierung die bevorstehende Moderne wie eine Flaschenpost in den Abend hinein. Sie ist schon da und sucht ihren Ausdruck, aber alles kuscht noch vor dem Alten.

Darum drängen sich Verse aus Otto Erich Hartlebens Albert-Giraud-Übersetzung der „Lieder des Pierrot Lunaire“ zwischen die Akte, in angespanntem Singsang vorgetragen, und darum nutzt die Musik von Felix Kroll Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“. Und darum bekommt die Michael-Kramer-lose Szene in der Bar von Liese Bänsch so eine zentrale Rolle: Auch wenn hier ein übler Stammtischmob lungert, gestaltet sich das diesmal vor allem als Treffpunkt einer Jugend, die selbst das Spießige mit einem ulkigen Elan inklusive modernistischer Tanzeinlage (Max Mehlhose-Löffler als loszappelnder Baumeister Ziehn) zelebriert.

Es ist, als wäre es schon wieder retro. Auch psychologisch hat die Bar-Szene die deutlichsten Konturen. Zwischen den losgelassenen Männern ist der das Unglück suchende Arnold, Paul Simon, im Grunde bloß ein Gespenst, während die beiden Frauen, Arnolds Schwester Michaline, Lena Hilsdorf mit dem interessantesten Gesicht des Abends, und die Wirtin Bänsch, Klara Wördemann, aneinander Halt suchen.
Die neuen Zeiten sind karg

Der in „Michael Kramer“, nur noch selten aufgeführt, vorgesehene Naturalismus wird in Wiesbaden wegretuschiert zugunsten eines kargen Bühnenkastens von Anne Neuser. Ein schmaler Leuchtrahmen kann blendend hell zum Vorhang werden. Die Kostüme von Britta Leonhardt verraten nicht zu viel, das Spiel ist zum Teil geradezu durchchoreografiert, zum Teil reduziert bis ins Künstliche: Mutter Kramer, Evelyn M. Faber, ist eingefroren in zu lange weggestecktem Leid, Vater Kramer, Uwe Eric Laufenberg, lässt nur noch ahnen, dass er einmal ein harter Knochen und ehrgeiziger Lokalmatador seiner Kunst war. Der Intendant spielt das gut, diese veröffentlichte, leicht pathetische Resignation, diese Reste von Stolz und Rechthaberei. An seinen Lippen hängt ja immer noch Ex-Schüler Ernst Lachmann, Matze Vogel, der einen gelungenen Auftritt als Jederkünstler bekommt. Erst recht an seinen Lippen hängt Michaline – ebenfalls Malerin, ebenfalls kein Genie, so jedenfalls das Diktum des Vaters, während unsereiner irgendwann doch gerne ein paar Bilder von ihr sehen würde.

Kerkhofs durchaus auch stilisierte Inszenierung geht sicher auf Kosten des Vater-Sohn-Dramas, überhaupt auf Kosten psychologischer Zusammenhänge. Sie ist aber ein origineller Versuch, eine Stimmung in der Schwebe zu zeigen und hören zu lassen – das Alte fast vorbei, das Neue noch nicht offiziell, und die Menschen verhalten sich schon entsprechend, wissen es aber nicht. Das Schlussbild hingegen gehört den alten Meistern. Kramer, der im Stück an einem Christusbild arbeitet, das niemand sehen darf, wird am Ende des Abends mit dem toten Sohn eine Pietà bilden. Seine Welt, sie wird mit ihm vergehen.

Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 10.11.2022

Michael Kramer - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Die bleierne Welt des Jahres 1900

Überall werden strukturelle Gewalt, Misogynie und der Mythos vom künstlerischen Genie diskutiert, die schon in Gerhart Hauptmanns Künstlerdrama "Michael Kramer" allen das Leben beschweren. Ingo Kerkhof hat es jetzt mit Uwe Eric Laufenberg in der Titelrolle inszeniert. Ist irgendwo Licht oder gar Erlösung in Sicht?

Denn alles Hohe wird erniedrigt werden, und alles Stolze sich beugen müssen. Die Schönheit wird in den Dreck gezogen, das Genie durch den Mob in den Tod gehetzt. Das Hessische Staatstheater Wiesbaden hat eine Ausgrabung gemacht: Gerhart Hauptmanns äußerst selten gespieltes Stück "Michael Kramer".

Ein Künstlerdrama, im Jahr 1900 uraufgeführt. Darin: Ein Patriarch wie aus dem Bilderbuch, der seinen Sohn noch als 17–jährigen verprügelt, der von seiner Tochter verehrt wird und von seiner Frau gefürchtet; ein alternder Künstler, der versucht, sein Lebenswerk zu vollenden – und dem dies nicht gelingt.

Nicht nur, weil sein letztes Bild von Jesus mit Dornenkrone diesen Michael Kramer nicht zufrieden stellt. Auch das Lotterleben seines Sohnes Arnold nagt an ihm, dieses griesgrämigen, hässlichen Nichtsnutzes, der aus Vaterperspektive sein großes Talent verschleudert, indem er sich nachts herumtreibt und am Tage nichts schafft.

Seine Tochter Michaline dagegen hat aus seiner Sicht zwar Fleiß, aber keinen "Funken". Statt zu heiraten, hat sie eine Malschule für Damen gegründet, und sich hiermit einige Vaterverachtung erworben. Den verlorenen Sohn suchen sie alle drei vergebens zurück auf den rechten Weg zu schimpfen – die Mutter ekelt sich vor ihm, der Vater attestiert ihm einen verdorbenen Charakter. Schließlich wird er sterben. Generationenkonflikt trifft auf das Drama des unverstandenen Künstlers, die Vater-Sohn-Geschichte auf das eher unglamouröse Leben der Bohème.

Ingo Kerkhof hat das Fundstück im Kleinen Haus des Staatstheaters inszeniert, in einer Black-Box von Bühnenbild (Anne Neuser): schwarze Wände, schwarze Decke, eine herabhängende Lampe, Holzstühle, ein kleiner Tisch. Darin spielt kein anderer als Intendant Uwe Eric Laufenberg diesen Kramer, der sich so sehr Nähe und Vertrautheit seines Sohnes wünscht, und ihn mit seinen hochfahrenden Beleidigungen doch nur vor den Kopf stößt. Der sich in einem Moment nahezu sehnsüchtig an ihn schmiegt, um ihm im nächsten die kalte Schulter zu zeigen, als Arnold nicht spurt: Vaterliebe will verdient werden. Mit Gehorsam.

Arnold (Paul Simon) ist eine steife Elendsgestalt, den Kopf oft schiefgelegt, als sähe er nicht recht, oder den Blick auf den Boden gerichtet wie ein trotziger, zorniger Teenager. Er mag seinen Platz in der Welt nicht finden. Nicht im kalten Elternhaus, nicht in der Kneipe, in der er allabendlich Wirtstochter Liese Bänsch stalkt, bis es den Stammtischbrüdern zu bunt wird und sie ihn provozieren, jagen. Hauptmanns Text wurde klug verschlankt und eingekürzt, entstaubt. Ergänzt wird er um zeitgenössisches Material, wie Albert Girauds Gedichtsammlung "Pierrot lunaire", vertont von Arnold Schönberg, oder auch das Volkslied "Lieschen komm ein bisschen".

Die atmosphärisch dichtesten Momente entstehen im Wirtshaus, wo Michaline (Lena Hilsdorf) und Lachmann (Matze Vogel), ein ehemaliger Schüler ihres Vaters, an der schwarzen Theke stehen und sich knapp über die Enttäuschungen ihres Lebens austauschen, ohne zu wissen, dass im Nebenraum gleichzeitig die Stammtischbrüder Arnold provozieren; und sich Liese vor den Trinkern an Michalines Tisch rettet wie auf ein Floß. Da wird die alltägliche, subtile Gewalt, die in diesem Mikrokosmus herrscht, so real wie die zarte Trauer um das Lebensglück, das sich schlicht nicht einstellen mochte.

Wie hat einmal eine kluge Frau gesagt? Wenn bestimmte Bilder immer und immer wieder wiederholt werden, vermittelt dies uns die Botschaft, dass es kein Entkommen gibt, keinen Ausweg. Und das soll es hier wohl auch. Die Welt des Jahres 1900, sie bleibt. Und bleibt. Und bleibt.

Esther Boldt, nachtkritik.de, 04.11.2022

Der Sohn als Schmerzensmann
Gerhart Hauptmanns fast vergessenes Künstlerdrama „Michael Kramer“ im Staatstheater Wiesbaden / Starke Hauptdarsteller und karge Bühne

Der „Michael Kramer“ war für Alfred Kerr der Inbegriff des Zeitstücks mit unbegrenzter Haltbarkeit. Es liege etwas „Großes, Religiöses“ in dieser Dichtung, schrieb er nach der Uraufführung im Dezember 1900: Die Hauptfigur trage „sozusagen den Ewigkeitszug auf dem Rücken“. Kleiner ging’s bei Kerr nicht.

So ungebremst ins Schwärmen geriet der wortgewaltige Theaterkritiker in der Kaiser-Wilhem-Zeit nur bei Gerhart Hauptmann. Und unter Hauptmanns geliebten Stücken war ihm dies tatsächlich – neben dem Bauernkriegsdrama „Florian Geyer“ – das allerliebste. Die Geschichte des Kunstlehrers Michael Kramer, der mitansehen muss, wie sein künstlerisch sehr viel begabterer, aber labiler Sohn Arnold sein Genie achtlos verschleudert, lotete für ihn mustergültig den „ewigen Widerspruch zwischen dem Fleischlichen und der Seele“ aus.

Im Kleinen Haus in Wiesbaden gibt es jetzt die Gelegenheit, Kerrs Diktum über den Ewigkeitswert von Hauptmanns Stück zu überprüfen. Regisseur Ingo Kerkhof hat sich dem fast vergessenen Text ganz unaufgeregt und sachlich genähert. Hat sich von Anne Neuser einen schmucklos grauen, durch eine schmale Lichtleiste gerahmten Bühnenkasten bauen lassen, in dem nur die allernotwendigsten Requisiten Platz finden: Tische, Holzstühle, ein mattgrauer Kneipentresen unter einer kastenartigen Deckenleuchte. Keine naturalistische Detailhuberei: Das Stück hat sich allein über seine Dialoge zu bewähren.

Bevor aber Hauptmanns wuchtiger Familienzwist anheben kann, sind symbolschwere Lyrismen angesagt. Eine schmale junge Dame in Rosa tritt an die Rampe und rezitiert Wohlklingendes über den „Wein, den man mit Augen trinkt“. Der Belgier Albert Giraud hat das in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts gedichtet, und Arnold Schönberg, der Zwölftöner, hat den zugehörigen Gedichtzyklus 1912 zur Textgrundlage für seine nun allerdings nicht ganz so süffige musikalische Fingerübung „Pierrot lunaire“ gemacht.

Hauptmanns Stück hat vier Akte, und dreien von ihnen ist in Wiesbaden ein solches Zitat aus dem „Pierrot lunaire“ beigegeben. Dazu zirpt, flötet und orgelt es aus dem Lautsprecher ausgiebig im Schönberg-Modus. Zusätzlich wird jeder Darsteller-Auftritt durch das grelle Aufflackern der Bühnenrahmen-Beleuchtung markiert. So aber zerfällt in Splitter, was in der Textvorlage mit fester Hand durchmodelliert ist.

Dazwischen allerdings findet in Wiesbaden grundsolides Schauspielertheater statt. Kramers Tochter Michaline ist bei Lena Hilsdorf eine faszinierende Mischung aus Lebenslust und Trotz, aus Mitgefühl und Kälte – fast ein Vamp.

Die beiden Hauptrollen des Stückes jedoch sind wiederum glänzend besetzt. Paul Simon spielt den Bärbeiß Arnold: Im lappigen Parka und mit schmierig in die Stirn hängenden Haaren, ist er die jugendliche Revolte in Person. Jedes Wort eine Misstrauensbekundung, jede Bewegung eine Geste der Verzweiflung. Das ist nicht nur ein verkanntes Talent, das ist ein komplett Haltloser. Und der Michael Kramer? Da steht der Wiesbadener Intendant Uwe Eric Laufenberg mal wieder selbst auf der Bühne – und spielt, was ihm liegt: einen selbstgewissen, mit jovialer Herablassung die Amtsgeschäfte führenden Regenten. Der Absturz nach dem Tod seines Sohnes gerät dafür umso schroffer: Erstarrt zu einem Remake von Auguste Rodins „Denker“, erklärt er den zuvor wütend gescholtenen Filius plötzlich zum wahren Sinngeber seines Lebens. Menschlich anrührend, das alles.

Jens Frederiksen, Wiesbadener Kurier, 07.11.2022

Im Schatten des Vaters - Hauptmanns „Michael Kramer“ am Staatstheater Wiesbaden
Mit „Michael Kramer“
gräbt Ingo Kerkhof am Staatstheater
Wiesbaden ein selten gespieltes, vielschichtiges
Gerhart-Hauptmann-Stück
der Jahrhundertwende aus. Glänzend
besetzt und szenisch zwingend verdichtet
im kargen Bühnenraum Anne Neusers,
forscht Kerkhof nach Spuren von
künstlerischen Epochenbrüchen, an
denen das Werk abseits des Vater-Sohn-
Konflikts reich ist.
Von den Zumutungen des Lebens
gebeugt, bringt die Mutter in Gestalt
von Evelyn M. Faber das Problem in der
Eingangsszene auf den Punkt: „Wir leiden
alle unter Vater.“ Gemeint ist der
alternde Kunstprofessor Michael Kramer,
ein einsames, phlegmatisch in seiner
Lehrerexistenz zerriebenes Talent,
den Hauptmann einem Professor der
Breslauer Kunsthochschule auf den Leib
schrieb. In der Familie ist er ein Patriarch,
der seine Kinder mit vergiftetem
Lob ebenso zermalmt wie mit cholerischen
Anfällen.
Intendant Uwe Eric Laufenberg agiert in
der Titelrolle durchweg überzeugend:
Wie er seiner malenden Tochter Michaline
(Lena Hilsdorf), die als Vaters Kind
nichts mehr anstrebt, als endlich von
ihm anerkannt werden, zwar Fleiß und
Zähigkeit bescheinigt, aber jovial resümiert:
„Den Funke, den hast du nicht“.
Den Funken sieht er stattdessen bei
Sohn Arnold, der das vollenden soll,
was der Vater nicht schaffte: ein bedeutender
Künstler des 19. Jahrhunderts zu
werden. Der aber will nicht. Paul Simon
mimt Lebensverweigerer Arnold, der
sein Leben lieber zeichnend in Kneipen
zubringt und darin ein Vorfahre von
Otto Dix oder Max Beckmann sein
könnte, mit fahriger Gebrochenheit und
unverschämtem Trotz. Wenn der Vater
ihn sehnsuchtsvoll umarmt, versteift
sich sein Körper in purem Entsetzen.
Auch die gebrüllte Forderung nach
absolutem Gehorsam verfängt nicht,
sondern setzt bei ihm nichts weiter frei
als kalte Renitenz. Schließlich selbst
von den Kneipenbesuchern verachtet,
die er zeichnet, nimmt er sich das
Leben. Und veranlasst den Vater zum
ungeheuer selbstgefälligen Trauersatz:
„Vielleicht hab’ ich ihm seine Sonne
verstellt: Dann wär’ er in meinem Schatten
verschmachtet.“

Bettina Boyens, Frankfurter Neue Presse, 07.11.2022
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