Giuseppe Verdi

Don Carlo

20.03.2022
Musikalische Leitung:
Will Humburg
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Rolf Glittenberg
Kostüme:
Marianne Glittenberg
Mit:
Wiederaufnahme 2023.2024 => Filippo II., König von Spanien | Timo Riihonen, Young Doo Park * Don Carlo | Rodrigo Porras Garulo, Ioan Hotea * Rodrigo, Marquis von Posa | Aluda Todua * Großinquisitor | Young Doo Park, Timo Riihonen * Ein Mönch | Mikhail Biryukov * Elisabeth | Elena Bezgodkova * Prinzessin Eboli | Ketevan Kemoklidze * Tebaldo | Fleuranne Brockway * Der Graf von Lerma | Julian Habermann * Stimme vom Himmel | Donata-Alexandra Koch * Mönch Carlo V | Gabriele Ascani /// Premierenbsetzung 2021.2022 => Musikalische Leitung | Antonello Allemandi * Filippo II., König von Spanien | Timo Riihonen (IMF: Günther Groissböck) * Don Carlo | Rodrigo Porras Garulo (IMF: Riccardo Massi) * Rodrigo, Marquis von Posa | Aluda Todua * Großinquisitor | Young Doo Park (IMF: Timo Riihonen) * Ein Mönch | Seungwon Choi * Elisabeth | Cristina Pasaroiu * Prinzessin Eboli | Alessandra Volpe (IMF: Ketevan Kemoklidze) * Tebaldo | Fleuranne Brockway * Der Graf von Lerma | Julian Habermann * Stimme vom Himmel | Michelle Ryan * Flämische Deputati | Studenten der HfMDK Frankfurt * Mönch Carlo V | Gabriele Ascani
Chor:
Chor, Chorsolisten & Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Orchester:
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Termine:

Spielzeit 2021.2022 (mit IMF) / 2023.2024

Weitere Informationen:

Trailer | »Don Carlo«

Rezensionen:

Die Inquisition lässt Köpfe rollen - Verdis "Don Carlo" mit Amnesty International in Wiesbaden
Lang anhaltender Applaus belohnt eine aufwühlende Premiere, in der Wiesbadens Intendant Uwe Eric Laufenberg politisch Flagge zeigt. Das Unheimliche: Seine Konzeption, in Verdis Freiheitsoper Parallelen zum blutigen Wirken Putins und Lukaschenkos zu ziehen, stand bereits vor vier Monaten fest. An der Produktion Beteiligte berichten, wie entsetzlich es gewesen sei, während der Proben durch Putins Krieg von der Wirklichkeit überholt worden zu sein.
Dieser "Don Carlo" Laufenbergs (in der Fassung von 1867) gehört zu seinen besten Arbeiten. Im schwarzen Bühnenraum (Rolf Glittenberg) lässt er wenige Symbole sprechen, die gerade durch ihre sparsame Verwendung maximale Wirkung entfalten. Ein bühnenhohes Goldkreuz, das auf Totenschädeln ruht, kündet von Autodafés der Inquisition und macht den Kalvarienberg zur sprichwörtlichen "Schädelstätte", während sogar die royale Goldmauer rückwärtig mit Köpfen Erschlagener gefüllt ist. Der Frieden Spaniens, er bedeutet die "Ruhe eines Friedhofs". Atemraubend gelingt das Ende des zweiten Aktes: Nachdem Jesus selbst statt der abtrünnigen "Ketzer" ans Kreuz genagelt wird, fordert Carlo von seinem Vater Begnadigung. Und entrollt mit Getreuen Plakate mit aktuellen Fotos von Putins Opfern: Alexej Nawalny, die 2006 ermordete Anna Politkowskaja, Sergej Tichanowski, Maria Kolesnikowa und viele mehr. Alles Gefangene, für die Amnesty International bei jeder
weiteren Aufführung im Foyer seine Gefangenen-Listen zur Unterschrift bereithalten wird. Mehr noch: Mit einem innigen Friedenslied beschließt der Chor den denkwürdigen Abend in mitfühlendem Gelb-Blau.

Bettina Boyens, FNP, 22.03.2022

„Don Carlo“ : Gedankenfreiheit mit Nawalnyj
Der Wiesbadener Intendant Uwe Eric Laufenberg inszeniert Verdis „Don Carlo“ im schwarzen Raum, aber an einer Stelle doch mit oberlehrerhaftem Anspruch eines politischen Theaters. [...]
Unter den heutig, aber überwiegend schwarz und neutral gekleideten Personen schleichen immer wieder schwarze Mönche mit hochgezogenen Kapuzen umher, mysteriösen Lauschern gleich. In Gestalt des Gekreuzigten, einer stummen Figur mit Wundmalen, geistert das Christentum in den Köpfen der Protagonisten herum, in ganz unterschiedlichen Aktionen als eine aus deren Wünschen und Leiden geborene Projektionsfigur: Christus als Märtyrer in dem von Don Carlo betriebenen Freiheitskampf oder als Symbolfigur einer unterdrückten Sexualität, wie sie mit androgynen Merkmalen dem Bett des Königs Philipp entsteigt, um sogleich in Kutte dem Großinquisitor als Blindenführer zu dienen.
Die Szene in Philipps Schlafgemach mit seinem Monolog „Sie hat mich nie geliebt“ gerät im ausdrucksstarken Vortrag des Basses Timo Riihonen so intensiv, dass man an dieser Stelle meinen könnte, die Oper müsse eigentlich „Filippo“ heißen. Jedenfalls führt der Finne, der in seiner hünenhaften Gestalt die offizielle Seite des Regenten mit staatstragender Verkündungsstimme verkörpert, im Sinne Verdis einen interessanten Perspektivwechsel herbei. Der finstere Herrscher, der Elisabeth, die Geliebte seines Sohnes, aus Machtkalkül zur Frau genommen hat, handelt unter den Zwängen seines Amts leidend.
Die vom Marquis Posa bei Philipp eingeforderte „Gedankenfreiheit“ gerät demgegenüber zur Herzensangelegenheit der Schwärmer. Als deren oberster erscheint Don Carlo in der Darstellung des mexikanischen Tenors Rodrigo Porras Garulo. Ein Heißsporn und Utopist, der aber ganz am Ende mit einer Pistole in der Hand in den bewaffneten Widerstand entflieht, anstatt vom alten Kaiser Karl mit offenem Ausgang hinter schützende Klostermauern gezogen zu werden.

Guido Holze, FAZ, 22.03.2022

Die Stunde der Freiheit - „Don Carlo“ am Staatstheater Wiesbaden, eine Oper, die nicht immer die Triftigkeit hat wie nun im März 2022. [...]
Selten war die sonst gerne ein wenig melancholisch verstandene Arie „Ella giammai m’amò“ kurioser und auch unheimlicher. Er stellt fest, dass sie ihn nie geliebt hat? Was, um Himmels willen, hat er denn gedacht? Mächtig das Duett des Königs mit dem Großinquisitor, Young Doo Park, sozusagen dem, der ihm an stimmlicher Wucht und blanker Gewaltbereitschaft gewachsen ist. [...]
Der Frauenchor, der ein bisschen scheu Flamenco tanzt, zerfällt hier in schöne individuelle Studien, ein Gemälde, das lebhaft davon erzählt, wie sich Menschen in einem faden, perspektivlosen und dennoch psychologisch stressigen Leben einrichten müssen. Hilfreich dabei die ebenso individuellen Kostüme von Marianne Glittenberg, eher wie aus einem García-Lorca-Stück.

Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 22.03.2022

Christina Pasaroiu bietet mit ihrem tadellos durchgeformten Sopran als Elisabetta mit differenzierter Gestaltung den denkbar größten Kontrast zu der auftrumpfenden Virilität der männlichen Protagonisten. Dabei gibt sie die zwangsverheiratete Königin nicht nur optisch als Doppelgängerin von Melania Trump: Eine attraktive junge Frau, die sichtlich angewidert vom plump-brutalen Gatten ist. Ihm gegenüber läßt die Pasaroiu ihre Stimme geradezu unterkühlt klingen. Auch gegenüber dem von seinen Emotionen getriebenen Carlos zeigt sie rollengemäß allenfalls eingehegte Gefühle. In ihrem mitreißenden Schlußauftritt schließlich kann sie auch die leidenschaftliche Seite ihrer Figur musikalisch beglaubigen.

Michael Demel, Der Opernfreund, 29.03.2022

Gut einen Monat, gerechnet vom Termin der Premiere, nach Beginn des brutalen Putin-Krieges gegen die Ukraine liefert der Opernstoff mit dem Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle nach Schillers Tragödie in der italienischen Fassung von Achille de Lauzières und Angelo Zanardini eine willkommene Vorlage, kulturund gesellschaftspolitische Haltung zu demonstrieren. Das „Meisterwerk in unserer Zeit zu befragen und unsere Zeit in diesem großen Stoff“, wie es in der Ankündigung des Theaters heißt.
Diese „Befragung“ gipfelt mit einer drastischen Bildersprache im dritten Aufzug. Weiß-Rot- Weiß ist die Flagge, Symbol der neuen Protestbewegung in Belarus und Russland, die über dem Körper des erschossenen Rodrigo in der Gefängnisszene ausgebreitet wird. Blutbefleckt wird das Tuch im Finale dem Publikum entgegengehalten. Unprätentiös schwarz-weiß, aber gerade deswegen eindrücklich sind die Fotos des inhaftierten Alexej Nawalny, der ermordeten Anna Politowskaja, des zu einer langen Haftstrafte verurteilten Sergej Tichanowski und weiterer Oppositioneller in den Händen der flandrischen Deputierten, die Filippo um Gnade und Freiheit für ihre Heimat anflehen. Abbildungen von mutigen Widersachern der Tyrannei werden auch von den Mitgliedern des Chores, alias dem Volk, auf dem Platz vor der Kirche geschwenkt. Schillers Botschaft der Aufklärung, für Menschenrechte und gegen Unterdrückung, will Laufenberg so den Besuchern sagen, ist im Wüten blutiger Gewalt gegen wehrlose Zivilisten aktueller denn je.
Ein Staatstheater zeigt Haltung. Bezieht eine klare Position in einer durch die Parteinahme pro und contra Kreml- Politik aufgeheizten Atmosphäre, in der die Kultur gefordert ist. Mit ihrer immanenten Kraft, zu benennen und die Perversion der Macht aufzuzeigen. Zumal in einer Stadt mit einer eigenen deutsch-russischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert, wie die schon von Weitem sichtbare russisch-orthodoxe Kirche auf dem Nero-Berg ausweist. Starke Momente, die beim Publikum Wirkung zeigen. Die stärkste emotionale Reaktion einer insgesamt gefeierten Aufführung. [...]
Der spanische König handelt unter Respekt vor einer Staatsräson, was sich ja exemplarisch im Ringen um die Gefolgschaft Rodrigos zeigt, den Aluda Todua mit strahlender wie samtener Stimme gibt. Der Kremlchef dagegen agiert ausschließlich zur Stabilisierung seines Systems und in der Verfolgung imperialistischer Großmachtträume. [...]
Das Sängerensemble beherrscht Verdis akribisch gemeißelte Partitur mit ihren bruchlosen Übergängen von rezitativen und ariosen Sequenzen famos. In der Titelpartie überzeugt Rodrigo Porras Garulo mit kräftigem und angenehmem Legato. In den Duetten korrespondiert er besonders gut mit der Elisabetta Cristina Pasaroius, die ihre ausdrucksstarke Performance bis zu ihrem finalen Ausbruch Tu che le vanità zu steigern weiß. Alessandra Volpe ist eine Eboli mit dynamischen Ausbrüchen und tiefem Schmerz.

Ralf Siepmann, Kulturmagazin O-TON, 08.04.2022

Kreuzweg für die Freiheit
Satte drei Stunden Düsternis, Bedrohung, Versagen, Opferung dominieren die jüngste Inszenierung von Giuseppe Verdis Don Carlo am Staatstheater in Wiesbaden. Immerhin entwischt Don Carlo regiebuchgetreu in den letzten finalen Sekunden. Dann folgt bis zum Bühnenapplaus eine Sondereinlage, der Chor singt ein Gebet für die bisherigen Oper des Krieges in der Ukraine. Das Publikum setzt sich diesem inszenierten Schauer aus, steht auf, applaudiert. Mancher denkt an seine Unterschrift am Stand von Amnesty International, deren Mitarbeiter vor der Premiere und in der Pause Listen auslegten, damit das Publikum seinen Protest "Politischer Terror gegen Freiheitskämpfer" mit dem eigenen Namen bekräftigt. Intendant Uwe Laufenberg inszeniert Don Carlo als Kreuzweg für die Freiheit. So politisch kann ein Opernbesuch werden.
Geschickt wählte Laufenberg für seine Inszenierung die vieraktige Version von 1884. Verdi hatte rund 20 Jahre nach der Uraufführung der ersten Fassung mit dieser Kürzung von fünf auf vier Akte auf die häufig beklagte Länge reagiert. [...]
Jede dieser Konstellationen erschüttert, ist nur entwicklungsfähig hin zum tragischen Ausgang zugunsten einer höheren Idee. So die Botschaft von Schiller, von Verdi, von Laufenberg. Um diese Parallele zum Kreuzweg zu verdeutlichen, lässt Laufenberg eine typisierte Christusverkörperung als stumme Rolle immer wieder auftreten, ein Geschundener, ein Gefolterter, ein Stigmatisierter, einer, der sein Kreuz schleppt und sich auf die Plakate mit den Gesichtern der Dissidenten fallen lässt, um für sie zu sterben. Manchmal will Laufenberg einfach zu viel erklären. [...]
Die Zukunft Flanderns steht auf dem Spiel, so steht es im Libretto nach der Vorlage von Schillers dramatischem Gedicht „Don Karlos, Infant von Spanien“. Doch spätestens im zweiten Akt, wenn die Delegation aus Flandern ihre Petitionen entrollt, wird Laufenbergs politische Botschaft sichtbar. Die jungen Darsteller, durchweg Studenten der Frankfurter Musikhochschule, zeigen großformatige Bilder von aktuell in Russland und Belarus verfolgten Politikern, Bloggern und Aktivisten. Die Parallelen zum Bühnengeschehen unterstreichen unmissverständlich die Erkenntnis der Unfähigkeit der Menschheit zum dauerhaften Frieden und damit verbunden die Endlosigkeit menschlichen Leidens. [...]
Der italienische Dirigent Antonello Allemandi sorgte vom Pult im Orchestergraben aus für heftige Klangschauer. Er leitete das Hessische Staatsorchester zu hochsensibler und damit hochdramatisch wirkungsvoller Interpretation an.

Christiane Franke, Klassik.com, 20.03.2022

Die Macht, der Tod und die Freiheit
Beim Warten auf die ersten, düsteren Takte der Schiller-Oper in der italienischen Fassung des Jahres 1884 denkt man zurück an Bernd Alois Zimmermanns Antikriegsoper „Die Soldaten“. Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hatte diese Herausforderung für jedes Theater 2016 in Wiesbaden höchst eindrucksvoll inszeniert. Dazu gehörte auch die Projektion einer Filmsequenz, in der das Staatstheater als zerbombte Ruine erschien. 2016 waren zerstörte Theater in Europa nur als Zitate ferner Vergangenheit denkbar.
Heute hat man die grausamen Bilder aus Mariupol vor Augen und denkt vielleicht daran, dass im bedrohten Odessa ein ähnlich prächtiges Theater wie in Wiesbaden steht. Ebenfalls ein Werk des Wiener Büros Fellner & Helmer.
Im Wiesbadener Theater gibt man sich nun Mühe, der außergewöhnlichen Situation Rechnung zu tragen, auf das Leiden in der Ukraine und die Verfolgung von Dissidenten in Russland hinzuweisen: Im Foyer wirbt ein Stand von Amnesty International zum Beispiel für E-Mails an den russischen Verteidigungsminister oder informiert über den Verbleib von Alexej Nawalny. [...]
Für den suggestiven Rahmen sorgt das karge, nachtschwarze Bühnenbild von Rolf Glittenberg, in dem ein zentrales Kreuz aus einem Berg von Totenköpfen herauswächst, während der Mönchschor (Einstudierung: Albert Horne) sein gruseliges Memento mori von der Vergänglichkeit der Macht erklingen lässt: ein starker Anfang. Schwarz dominiert auch in Marianne Glittenbergs Herrenkostümen, von denen sich das grelle Kardinalsrot des Großinquisitors, Strippenzieher allen Unheils, in aggressiver Schärfe abhebt. [...]
Und der Chor unterbricht den begeisterten Schlussbeifall bald mit einer musikalischen Brücke in die bedrückende Gegenwart. Albert Horne dirigiert das „Gebet für die Ukraine“ des Komponisten Mykola Lyssenko und wendet sich an das Publikum: „Der Opernchor trauert um Menschen, die ihr Leben verloren haben.“ Die Prozeniumslogen werden derweil in den ukrainischen Nationalfarben illuminiert: Auch der vergoldete Historismus darf also am Ende Farbe bekennen.

Volker Milch, Wiesbadener Kurier, 22.03.2022
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