Wolfgang Amadeus Mozart

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

06.03.2011
Kunstpalast Sulaymaniah, Irak
Musikalische Leitung:
Konrad Junghänel
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Matthias Schaller
Kostüme:
Antje Sternberg
Mit:
Ishan Othmann, Susanne Elmark, Rebecca Nelson, Marco Jentzsch, John Heuzenroeder, Wolf Matthias Friedrich
Chor:
Chor der Oper Köln
Orchester:
Gürzenich-Orchester

Gastspiel Entführung im Irak

Rezensionen:

Rückblickende Impressionen
Die Oper Köln ist heute nach ihrem sehr erfolgreichen Gastspiel aus Sulaymania/Irak mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« nach Köln zurückgekehrt. Alle an der Reise beteiligten Mitarbeiter sind gesund, wohl auf, euphorisiert und von den menschlichen und künstlerischen Begegnungen begeistert. Die Aufführungen fanden am 5. und 6. März 2011 im Telary Honer (Kunstpalast) in Sulaymania statt. Beide Aufführungen waren sehr gut besucht und endeten in Standing Ovations und frenetischem Applaus. Somit hat zum ersten Mal eine Opernaufführung im Irak stattgefunden. Das Publikum verfolgte gebannt die Musik Mozarts unter Konrad Junghänel und dem Gürzenich Orchester, gespielt historisch informiert, äußerst lebendig, mit extremen Gegensätzen zwischen losprasselnden Rhythmen und verhalten melancholischen Stimmungen. Das Solistenquintett bestand aus Susanne Elmark, Marco Jentzsch, Rebecca Nelson, John Heuzenroeder und Matthias Friedrich. Sie wurden ergänzt in der Sprechrolle von Ishan Othmann, einem kurdischstämmigen Schauspieler, der seine Rolle in kurdischer Sprache spielte und der diese Gastspielreise maßgeblich mit organisierte. Die moderne Lesart der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg im Bühnenbild von Matthias Schaller gab den beiden Abenden eine eigene Spannung, wurde dort doch die Realität des Irak thematisiert. So waren auf der Bühne wie im Straßenbild von Sulaymania Waffen und Spuren von Zerstörung, Frauen zwischen Moderne und Verschleierung, Alkoholbuden und Alkoholverbot, der Unterschied aus islamischen und westlichen Einflüssen jederzeit spürbar.

Das Gürzenich Orchester Köln gab neben den Proben und Aufführungen Meisterkurse in der dortigen Musikhochschule. Neben und nach den Aufführungen wurden wichtige kulturelle Kontakte geknüpft, um dieses erste Gesamtgastspiel einer Oper im Irak in die Zukunft zu einem regelmäßigen Kulturaustausch zu führen.

Die Einladung erfolgte von der PUK (Patriotic Union Kurdistan), die auch an der Regierung beteiligt ist. Es gab während des Gastspiels Proteste in der Stadtmitte gegen die Regierung. Beide Seiten konnten das Gastspiel aber als den Versuch verstehen, zu friedlichen Diskussionen und Lösungen beizutragen. Die Grundaussage von Mozarts Werk »nichts ist so hässlich wie die Rache« traf den Nerv der Zuschauer. Nach jahrelangen grausamsten Verfolgungen durch Saddam Hussein, den Grausamkeiten des Iran-Irak-Kriegs und den seit 2003 herrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen konnten die Mitglieder der Oper Köln ein großes Bedürfnis der Bevölkerung nach Frieden, Kultur, Demokratie und wirtschaftlichen Aufschwung verspüren. Die Gastfreundschaft übertraf alle Erwartungen.

Zuschrift, 04.03.2011

Tobias Werner hat sehr kleine Augen. Der Betriebsdirektor der Kölner Oper hat nur zwei Stunden geschlafen, denn er hat nachts 40 Mitglieder des Gürzenich-Orchesters vom Flughafen in Erbil abgeholt und mit dem Bus nach Sulaymaniyah im Irak gebracht. Mehr als drei Stunden hat die holperige Fahrt durchs unwegsame und stockfinstere Bergland Kurdistans gedauert, zehn Kontrollen waren zu erdulden. Um halb sechs hat der Bus in einem Dorf gehalten, wo es Fladenbrot und Wasser gab. Kurz darauf entschädigte ein grandioser Sonnenaufgang für die Strapazen. "Die Stimmung im Orchester ist gut", versichert Werner.
Als am 26. November 2010 im Kölner Palladium Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung von Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" zur Premiere kam, hat wohl niemand damit gerechnet, dass die Kölner Oper drei Monate später mit dieser Produktion in den Irak reisen würde. Und niemand konnte damals auch nur ahnen, wie dramatisch sich die politische Lage im arabischen Raum entwickeln würde.

Nicht ganz zufällig aber saß Mullah Bakhtiyar als offizieller Vertreter der Republik Irak bei der Kölner Premiere im Publikum, denn die Sprech-Rolle des Bassa Selim verkörpert in Laufenbergs Inszenierung Ishan Othmann, ein irakisch-kurdischer Schauspieler und Regisseur, der seinen Part auf Kurdisch spricht. Mozarts Singspiel handelt vom spannungsreichen Kulturkonflikt zwischen Orient und Okzident und plädiert für friedliche Lösungen. Der orientalische Potentat Bassa Selim wird bei Mozart zur Schlüsselfigur des Konfliktes und erweist sich letztlich als Humanist.

Einladung vom Mullah

Mullah Bakhtiyar war begeistert und lud noch auf der Premierenfeier das Team mit der Neuproduktion spontan in den Irak ein. Die Einladung war mehr als nur eine diplomatische Geste und so nahmen alsbald die Dinge organisatorisch ihren Lauf, während sich parallel zu den Vorbereitungen die Ereignisse in den arabischen Ländern überschlugen.

Ein dreiköpfiges Erkundungsteam der Kölner Oper reiste nach Sulaymaniyah, um die Bedingungen vor Ort in Augenschein zu nehmen. Als operntauglich wurde das vor zwei Jahren erbaute Kulturzentrum Telary Honer befunden - mit gewissen Abstrichen, versteht sich. Tatsächlich herrschen in jeder Hinsicht erschwerte, um nicht zu sagen abenteuerliche Bedingungen, die von allen Mitwirkenden nun ein Höchstmaß an Improvisationskunst, Fantasie und vor allem Geduld erfordern.

Seit Dienstag sind die ersten Kölner vor Ort

Bereits seit Dienstag ist die erste Gruppe aus Köln vor Ort. Bei der ersten Bühnenbegehung stellt sich heraus, dass der Orchestergraben erst unter einem roten Teppichboden freigelegt werden muss. Zudem besitzt er keinen unterirdischen Eingang, so dass das Orchester auf die offene Bühne gehen muss, bevor es mit dem Graben heruntergefahren werden kann. Ein Klavier für die szenischen Proben gibt es auch nicht, das muss erst mühsam herangeschafft werden und ist völlig verstimmt. Der einzige Klavierstimmer im Irak jedoch sitzt in Bagdad, also müssen sich die Sänger und Dirigent Konrad Junghänel mit schräger Begleitmusik arrangieren.

Die Teilnahme am Gastspiel ist freiwillig, niemand aus dem insgesamt mehr als hundertköpfigen Team wurde gezwungen, die Reise anzutreten, um mit Mozarts "Entführung" an diesem Wochenende die erste Opernaufführungen überhaupt im Irak auf die Bühne zu bringen. Bis vor kurzem galt die kurdische Region im Norden des Irak zwar als ruhig und stabil, aber seit Mitte Februar gibt es auch in Sulaymaniyah Demonstrationen, an deren Rändern es zu vereinzelten Todesfällen gekommen ist. Sorgen um die Sicherheitslage sind daher nicht unberechtigt. Noch am Tag vor der Abreise hat eine Geigerin das gewagte Unternehmen abgesagt und musste kurzfristig ersetzt werden.

Container mir Bühnenbild und Requisiten kamen 24-Stunden spät

Um die mangelnde Theater-Infrastruktur und die Einrichtung der Garderoben konnte sich die Technik zunächst in aller Ruhe kümmern, denn die Container mit Bühnenbild und Requisiten kamen erst mit 24-stündiger Verspätung in Sulaymaniyah an. Das Behältnis mit den Requisiten stand leider auf dem Kopf, die Einzelteile waren teilweise zertrümmert und etliche Kisten vom Zoll aufgeschlitzt. Mittlerweile ist alles repariert und die Proben können auf der halbwegs eingerichteten Bühne stattfinden. Dafür bereiten die häufigen Stromausfälle Sorgen: Was tun, wenn während der Vorstellung das Licht ausgeht?

Das Gastspiel im Irak wird ein Abenteuer bleiben, bis sich am Samstagabend zum ersten Mal in diesem Land der Vorhang zu einer Oper heben wird. Dann aber stellen sich die nächsten, alles entscheidenden Fragen: Wie kommt eine klassische Oper hier an? Wie nimmt das Publikum die in die Gegenwart verlegte Inszenierung an, in der Islam-Klischees derb parodierend auf die Bühne kommen und sogar eine Steinigung gezeigt wird?

"Wir landen mit einem Ufo"

"Es gibt hier natürlich hier keine Rituale, wie man mit Oper umgeht, denn das gibt es ja hier bislang nicht. Wir landen sozusagen mit einem Ufo", sagt Opernintendant und Regisseur Laufenberg. Im Unterschied zu anderen arabischen Ländern wird in Kurdistan Theater und damit vermutlich auch Oper nicht aus religiösen Gefühlen heraus abgelehnt. Theater ist im Gegenteil sogar enorm populär. Und der Hunger, aufzuholen und Anschluss zu finden ist groß. Laufenberg hofft auf die Kraft der humanistischen Botschaft: "Wir leisten hier einen kulturellen Beitrag, das ist ein Friedensbeitrag, und dafür stehen wir gerne ein. Und wir machen hier auch nicht staatstragende Kunst, während nebenan für Demokratie demonstriert wird."

Regine Müller, 04.03.2011

BAGDAD - Die 1600 Besucher des Kulturpalastes quittierten die Begegnung mit der westlichen Kunstform mit Ovationen. Die einhellige Begeisterung belohnte die Anstrengungen des Kölner Opernteams, das unter schwierigsten Bedingungen innerhalb weniger Tage die Produktion den Verhältnissen vor Ort anpassen musste.
Obwohl es im Vorfeld der Aufführung kaum Werbung gab, war der Theatersaal brechend voll, als sich der Vorhang zu Mozarts Singspiel hob. Im Zuge der dramatischen Entwicklungen der letzten Monate im arabischen Raum waren immer wieder auch Sicherheitsbedenken laut geworden, die ausdrücklich davor warnten, in einer Krisenregion westliches Theater zu zeigen.
Das Gastspiel mit insgesamt zwei Aufführungen kam auf Einladung des irakischen Vizepräsidenten Mullah Bakhtiyar zustande, der zugleich Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistans ist, die in der autonomen Region Kurdistan die Regierung stellt. Bakhtiyar hatte im vergangenen November als offizieller Vertreter des Irak die Kölner Premiere von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung gesehen und spontan seine Einladung ausgesprochen.

DPA, 08.03.2011

Oper feiert historischen Auftritt
Erste europäische Inszenierung im Irak trotz widriger Bedingungen geglückt
Rund 1600 Zuschauer bejubeln in Sulaymaniyah den Auftritt der Musiker aus der Domstadt
Doppelte Premiere für die Opernmacher aus der Domstadt: Unter großem Jubel des kurdischen Publikums ist erstmals eine europäische Oper im Irak aufgeführt worden. Das Team der Kölner Oper inszenierte am Wochenende in der nordirakischen Stadt Sulaymaniyah Mozarts "Die Entführung aus dem Serail". Rund 1600 Besucher des Kulturpalastes quittierten die Begegnung mit der westlichen Kunstform mit Ovationen.

Die einhellige Begeisterung belohnte die Anstrengungen des Kölner Opernteams, das unter schwierigsten Bedingungen innerhalb weniger Tage die Produktion den Verhältnissen vor Ort anpassen musste. Das Gastspiel mit insgesamt zwei Aufführungen kam auf Einladung des irakischen Vizepräsidenten Mullah Bakhtiyar zustande. Er ist zugleich Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistans, die in der autonomen Region Kurdistan die Regierung stellt. Bakhtiyar hatte im vergangenen November als offizieller Vertreter des Irak die Kölner Premiere von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung gesehen und spontan seine Einladung ausgesprochen.

Ein dreiköpfiges Erkundungsteam der Kölner Oper reiste nach Sulaymaniyah, um die Bedingungen vor Ort in Augenschein zu nehmen. Als operntauglich wurde das vor zwei Jahren erbaute Kulturzentrum Telary Honer befunden - mit gewissen Abstrichen.

Bei der ersten Bühnenbegehung stellte sich jedoch heraus, dass der Orchestergraben erst unter einem roten Teppichboden freigelegt werden musste. Ein Klavier für die szenischen Proben fehlte zunächst vollkommen, das kurzfristig organisierte Ersatzinstrument war dann völlig verstimmt. Um die mangelnde Theater-Infrastruktur und die Einrichtung der Garderoben konnte sich die Technik dann in aller Ruhe kümmern, denn die Container mit Bühnenbild und Requisiten kamen erst mit 24-stündiger Verspätung in Sulaymaniyah an: Die Einzelteile waren teilweise zertrümmert und etliche Kisten vom Zoll aufgeschlitzt.

Nach den Reparaturarbeiten konnten endlich die Proben auf der mittlerweile halbwegs eingerichteten Bühne beginnen. Nun aber stellten sich die nächsten, alles entscheidenden Fragen: Wie kommt eine klassische Oper hier im Irak an? Wie nimmt das kurdische Publikum die in die Gegenwart verlegte Inszenierung auf, in der Islam-Klischees ziemlich derb parodierend auf die Bühne kommen und sogar eine Steinigung gezeigt wird?

"Es gibt hier natürlich keine Rituale, wie man mit Oper umgeht, denn das gibt es ja hier bislang nicht. Wir landen sozusagen mit einem Ufo", sagt Opernintendant Laufenberg. "Wir leisten hier einen kulturellen Beitrag, das ist ein Friedensbeitrag, und dafür stehen wir gerne ein. Und wir machen hier auch nicht staatstragende Kunst, während nebenan für Demokratie demonstriert wird."

Der tosende Applaus nach der Aufführung hat Laufenberg und seine Musiker für ihre Mühen belohnt..

DIE WELT, 08.03.2011
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