Anton Tschechow

DER KIRSCHGARTEN

14.05.2009
Hans Otto Theater Potsdam
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Matthias Schaller
Kostüme:
Jessica Karge
Mit:
Angelica Domröse, Michael Scherff, Günter Rüger, Roland Kuchenbuch, Helmut G. Fritzsch, Ulla Schlegelberger, Henrik Schubert, Chris Pichler, Sigrun Schneggenberger, Ulrich Rechenbach, Caroline Lux

Tschechow, Der Kirschgarten

Rezensionen:

Plötzlich ist der ganze Plunder fort, all die Bühnen-Illusionen, die uns ein altes russisches Landgut und eine längst untergegangene Epoche vorgaukeln wollten, sind wie weggezaubert. Über die leere, von Leuchter und Bücherschrank, Klavier und Schaukelpferd befreite Bühne wankt der greise Diener Firs (Günter Rüger). Das Landgut ist verkauft, die Menschen haben sich in alle Winde verstreut. Nur den Alten, der sich zum einsamen Sterben hinlegt, den haben sie einfach im Haus vergessen. Abschiede sind schmerzlich, fordern Opfer. Das Alte verschwindet, und das Neue macht Angst. Nach fünf Jahren als Intendant verabschiedet sich Uwe Eric Laufenberg am Hans- Otto-Theater mit einer Inszenierung von Tschechows „Der Kirschgarten“. Ein beziehungsreicher Abschied: Denn während im 1904 uraufgeführten Drama gleich eine ganze Epoche zu Ende geht und das Alte dem Neuen weichen muss, verabschieden sich auch viele Schauspieler mit dieser Inszenierung aus Potsdam: Es ist eine konzentrierte, von allen modischen Mätzchen befreite Aufführung, über der ein Hauch melancholischer Komik schwebt. Die Bühne (Matthias Schaller) erinnert über weite Strecken an alte Schaubühnen-Inszenierungen von Peter Stein aus den 1980er Jahren: große Zimmerfluchten, realistische Requisiten, aus dem Off Pferdegetrappel und Eisenbahngeräusche. Doch naturalistische Atmosphäre und psychologischer Realismus, Text- und Werktreue sind das eine, zeitlose Aktualität das andere. Denn es geht Laufenberg nicht um den Abschied von den feudalen Faulenzern, es ist auch keine Hommage an die kommende Revolution. Der Kirschgarten, der den Äxten zum Opfer fällt, wird zur Metapher für die Erinnerungen an eine schöne Vergangenheit. Diese Ambivalenz, der Schmerz der Erinnerung hier, die Schönheit der Erneuerung dort, das zeigt Laufenberg wunderbar im vierten und letzten Akt: Die realistisch-naturalistische Bühne ist plötzlich leer und weit, wir sind im Hier und Jetzt, im Überall und Jederzeit, Abschied ist immer zugleich Trauer und Aufbruch. Angelica Domröse spielt die Gutsbesitzerin Ranjewskaja, Michael Scherff den Kaufmann Lopachin, der das Gut erwirbt und die Kirschbäume fällen lässt. Beide sind zwei Seiten derselben Medaille, der eine hat das, was dem anderen fehlt. Die Domröse schlingert auf einer Gefühlsachterbahn, sie ist eine verletzliche und kindliche, weltabgewandte und realitätsblinde Träumerin. Scherff ist ein lauter, proletenhafter Tat- und Machtmensch, der zwar weiß, wie man Geschäfte macht, aber keine Ahnung von den Menschen und der Liebe hat. Laufenberg verschafft aber auch anderen Darstellern große Auftritte und intensive Momente. Die Entdeckung des Abends ist Chris Pichler in der Rolle der Adoptivtochter Warja: Wie das Leben und die Liebe sie fast zerreißt, das tut weh. Die Inszenierung wirft keine neue Sicht auf Tschechow, aber sie ist ein starkes Stück Theater und ein würdiger Abschied: Denn Laufenberg hat Enormes geleistet. Dem vorher lustlos vor sich hindümpelnden Theater hat er ein neues Gesicht gegeben, die schwierige Übergangsphase zwischen ungeliebter, provisorischer Blechbüchse und schicker neuer Theater-Auster gut gemeistert. Mit seinem „Unterwegs“-Projekt wurden neue Spielorte erkundet („Jenny Treibel“ in einer Villa, „Krieg und Frieden“ in einer Kirche), mit Schauspiel-Stars wie Katharina Thalbach, Angelica Domröse, Katja Riemann wurde Kasse gemacht. Aber Laufenberg hat auch Regietalent Petra Luisa Meyer freie Hand gelassen für freches, frisches Theater. Schauspieltalente, ob Anne Lebinsky oder Nicoline Schubert, Tobias Rott oder Moritz Führmann, durften sich in Ruhe entfalten. Laufenberg hat sich als Team-Player gezeigt und gern auch anderen Regisseuren die Lorbeeren gegönnt. Verglichen mit dem Dekonstruktionstheater eines Frank Castorf oder dem Debatten-Theater eines René Pollesch mögen Laufenbergs Inszenierungen (von der „Winterreise“ bis zu „Nathan, der Weise“) etwas Konventionelles anhaften. Aber das muss ja nichts Schlimmes sein. Im Gegenteil. Es ist Theater für die Zuschauer und ein Fest für die Schauspieler.

Märkische Allgemeine Zeitung, 18.05.2009
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