Szenen von Katharina Schlender// Filme und Original-Töne von Lea Rosh und Sascha Jakob // nach einer Idee von Lea Rosh

DAVID SALZ DIE GESCHICHTE DES ELEKTRIKERS 107 939

08.05.2006
Hans Otto Theater Potsdam
Inszenierung:
Künstlerische Gesamtleitung: Uwe Eric Laufenberg Spielszenen: Johanna Hasse / Carsten Kochan / Tobias Rott
Bühne:
Matthias Schaller
Kostüme:
Antje Sternberg
Mit:
DAS GESAMTE ENSEMBLE DES HANS- OTTO- THEATERS POTSDAM
Rezensionen:

"Die Krone meines Lebens"-Die Uraufführung des Film- und Theaterprojekts "David Salz" am Hans Otto Theater berührte zutiefst

Von Heidi Jäger

"Immer ist meine Mutter nach ihrer Arbeit im Schuhgeschäft sofort zu mir nach Hause gekommen. Nie hat sie noch Besorgungen gemacht. Ich habe auf sie gewartet. Als sie fortblieb, hatte ich große Angst. Alle möglichen Gedanken schossen mir durch den Kopf ..." Mit bewegter Stimme erzählt David Salz von dem Beginn der Familientragödie, die für seine Mutter in der Gaskammer von Auschwitz endete.
Das Theater- und Filmprojekt "David Salz", das am Mittwochabend im Theaterhaus Am Alten Markt zur Uraufführung gelangte, war ein tief unter die Haut gehendes Ereignis. Das lag vor allem an den schlichten, aber um so eindrücklicheren Schilderungen von David Salz selbst.
Noch einmal ging er gedanklich den Weg zurück, den er als 13-Jähriger beschritt. Er folgte aus eigenen Stücken seiner Mutter nach Auschwitz, in der Hoffnung, sie dort wiederzufinden. Dafür schwindelte er sich vier Jahre älter, machte sich zum Elektriker und überlebte die Selektierung von Dr. Mengele. Er überstand auch das Lager im Schreckensstollen von Dora II, aus dem er schließlich fliehen konnte. Beinahe tödlich endete dann die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern, weil sie seine Häftlingsnummer mit einer SS-Tätowierung verwechselten. Schließlich gelangte er durch die Hilfe eines jüdischen russischen Offiziers wieder nach Hause: nach Berlin. Das Wiedersehen mit dem Denunzianten seiner Eltern, Lenz, weckte indes die schlimmsten Rachegefühle in ihm. Er schlug zu, immer wieder und immer wieder. Ein paar Wochen später starb dieser Mann. Der 16-jährige David Salz bekannte sich zu seiner Tat, doch blieb verschont. Er ging nach Israel.
Um die dokumentarfilmischen Interviews mit dem heute 77-Jährigen strickte das Hans Otto Theater fiktive Szenen, die an den Lebensweg entlang führten und doch einen weiteren Rahmen spannten. Da geht es um den alltäglichen Antisemitismus im "Dritten Reich" und die Gleichgültigkeit der Nachbarn, als die Juden weggeholt und gen Osten geschickt wurden. Auch das Lager von Auschwitz wird in Szene gesetzt: die sexuelle Nötigung unter Häftlingen oder wie der Lagerkommandant seinen Schneider in Herrenmanier demütigt. Man sieht, wie Soldaten dem Wahnsinn des Tötens entfliehen wollen und schließlich auch die amerikanischen und russischen Befreier. Und zwischendurch immer wieder Nebelschwaden, die wie geöffnete Gaskammern das tägliche Morden assoziieren.
Nicht immer gelang der Balanceakt, den Zuschauer von der behutsamen Alltagssprache des David Salz auf die zugespitzt dichte Kunstsprache der Autorin Katharina Schlender mitzunehmen. Manche der Szenen wirkten auch gestelzt und plakativ, zu schrill und überhöht gegenüber den leisen, verhaltenen Tönen des Betroffenen. Doch alle Kritikasterei ist zugleich auch fehl am Platze, denn es war ein Abend mit großer emotionaler Wirkung, die lange nachhallt.
Als David Salz am Ende des Interviews sagte: "Mir fallen nur die Worte ein: ,Nie wieder!"", herrscht betretenes Schweigen in dem kleinen Theaterraum, in dem alle scheinbar näher zusammengerückt waren. Erst nach Minuten setzte Beifall ein. Lea Rosh, die Initiatorin dieses Projekts, dankte dem anwesenden David Salz, dass das Theater seine Geschichte erzählen durfte. "Es ist die Krone meines Lebens", entgegnete der zutiefst gerührte, alte Herr, der heute verwitwet mit seinen zwei Söhnen in Tel Aviv lebt.
Eigentlich hätte man nach der so ambitionierten, von allen Schauspielern des Ensembles mitgetragenen Aufführung gern noch seinen eigenen Gedanken und Gefühlen nachgehangen.
Es folgte ohne Pause noch eine von Lea Rosh geführte Gesprächsrunde, die zu einer ernüchternden Ankunft im Alltag von heute wurde. Die Schauspieler, gerade noch Täter und Opfer, hatten sich wie zu einem Chor hinter dem Podium vereint. In ihren Gesichtern stand noch die Anspannung geschrieben, das Unmögliche auf die Bühne zu bringen.
Nun erzählte ein anderer David, ein junger Berliner Jude von heute, wie sehr ihn dieser Abend ergriffen habe. "Ich fand meine eigene Geschichte und auch meine Ängste wieder." Und dieser David sagte, dass er sich nicht traue, mit einer Kipa auf die Straße zu gehen. "Wenn man die Leute nicht kennt, verschweigt man lieber, was man ist." Ein Ereignis habe sich besonders tief eingeprägt: als er an einer Demonstration in Berlin gegen den Krieg von Bush im Irak teilgenommen hatte. "Da waren plötzlich auch Plakate gegen Sharon. Ich kaufte mir in einem Laden schnell eine kleine Israelflagge, zumal ich mich bei einem Besuch in Israel das erste Mal wirklich zuhause gefühlt hatte. Sofort stürzten Araber auf mich. Zum Glück war Polizei da." Er erinnerte sich an seine Großmutter, die ihm immer wieder sagte, dass niemand wissen müsse, dass man Jude sei.
"Es wird nichts bringen, sich zu verstecken", entgegnete Lutz Boede von der Kampagne gegen Wehrpflicht auf dem Podium. Auf Lea Rosh` Nachfrage, was er als politisch Engagierter denn tue, um ein Klima im Land mit zu schaffen, das solche Ängste abbauen helfe, antworte Boede nur, dass David mehr Courage haben müsse und dass man einen Einstellungswandel bei größeren Minderheiten erwirken müsse.
Der aus Aserbaidschan stammende Regisseur Yüksel Yolcu erinnerte an den Fall Ermyas in Potsdam. "Wenn ich so etwas lese, kommen wieder Urängste in mir hoch und ich überlege, ob ich nicht doch Deutschland verlassen sollte. Wir haben es als Gesellschaft nicht geschafft, die Leute zu verbinden, ein neues Miteinander entstehen zu lassen."
Der Kreislauf der Gewalt sei ein internationales Problem, relativierte Intendant Uwe Eric Laufenberg, der auch die künstlerische Leitung des David-Salz-Projektes hatte. Er forderte, nicht nur Nabelschau zu betreiben, sondern auch solidarisch zu sein, zum Beispiel wenn der Iran dem Land Israel mit der Atombombe drohe. Andererseits könne man aber auch nicht einen Krieg von Bush gegen den Iran unterstützen. Kompromisse gelte es zu finden. Der Bogen des Abends wurde weit gespannt, auch zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, das vor einem Jahr eingeweiht wurde. In Gedanken blieb man aber ganz dicht an David Salz. Die Schauspielerin Rahel Ohm hatte ihn vor der Vorstellung gebeten, sich nicht in die erste Reihe zu setzen. Diese authentische Geschichte in seinem Beisein zu spielen, war nicht nur für sie ein großer seelischer Kraftakt. David Salz saß in der dritten Reihe. Und war doch von jedem fühlbar.

Potsdamer Neueste Nachrichten, 12.05.2006
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