Gedanken zum RING DES NIBELUNGEN

Gedanken zum RING DES NIBELUNGEN

Konzeption, Symbole und Wirklichkeit | Wiesbaden 2017

von Uwe Eric Laufenberg

Richard Wagner hat sein Gesamtkunstwerk aus Musik, Drama, Text und Anschaulichkeit über 25 Jahre entworfen und komponiert und dann selbst 1876 in Bayreuth in einem eigens für dieses Werk gebauten Theater zur Uraufführung gebracht.

Es waren Kaiser, Könige und die wesentlichen intellektuellen Geister der Zeit zur Uraufführung anwesend, aber es hagelte in den Besprechungen der Zeitgenossen und der Presse nur Verrisse. Das Projekt war gescheitert, zum zweiten und dritten Zyklus kamen immer weniger Zuschauer, am Ende stand ein finanzielles und künstlerisches Debakel.

Wagner konstatierte: Bayreuth war ein Fehler, und verfiel in eine Depression. Aus dieser schuf er seine letzte Oper »Parsifal«, ein Bühnenweihfestspiel, das er ziemlich einsam unter Cosimas Obhut in Wahnfried schrieb und komponierte, und das er 1882 in Bayreuth zur Uraufführung brachte. Aus den Millionen Schulden wurde mit der »religiösen Karte« ein Millionenvermögen. Im Februar 1883 starb Wagner in Venedig, Bayreuth aber war als Institution gerettet und lebt noch heute.

Der »Ring« ist als die Überforderung Operngeschichte geworden: das Scheitern in der

»Götterdämmerung« ist zum Mantra des Werkes selbst geworden.

Eine Überforderung, eine Überanstrengung, eine Maßlosigkeit.

Der Versuch, die ganze Welt und Menschheitsgeschichte zu erzählen, sich zu messen an der Orestie oder an »Hamlet« oder an »Faust«, an Homer, Beethoven und an allem, was Kunst und Geisteswissenschaften Großes und Wesentliches hervorgebracht haben.

Wagner hat neben dem »Ring« sechs große Einzelwerke geschaffen, aber der »Ring« war als sein Opus Magnum konzipiert und ausgeführt und ist als solches gescheitert.

Und lebt und wird aufgeführt bis heute.

Und wird erlitten, zerrissen, verflucht, geliebt, bewundert, abgesessen, verehrt, verteufelt und heiliggesprochen, bis heute.

Die größte Zäsur hat das Werk 1933 und 1939 erfahren: Wagner wird durch Hitler der Prophet Deutschlands, ihr gemeinsamer Antisemitismus wird zum Kainsmal einer durch Schiller, Goethe und Beethoven geprägten idealistischen und nun zum Untergang verdammten Kulturnation. Alles was ist, endet. Meinem Fluch entgehst Du nicht.

Wagner ist ein Welterfolg. Hitler ist ein Weltvernichter.

Die Wagner-Familie hat sie zusammengeschweißt.

Nur eines will ich noch, das Ende.

In Deutschland hat man dieses Festspiel erbarmungslos bis zum bitteren und vollkommenen Ende aufgeführt. Der vom 1. Weltkrieg kriegsgeschädigte und verrückte Diktator Adolf Hitler sieht die Oper im Sommer 1939 zum letzten Mal in der 53-jährigen Tradition der Uraufführung, die in Bayreuth heiliggesprochen war: im Bärenfell und mit gemaltem Wald und Felsenkulisse. Unmittelbar danach beginnt er den 2. Weltkrieg, der Deutschland und große Teile Europas auslöschen und 70 Millionen Menschen töten wird.

Hitler verwirklicht Wagners »Götterdämmerung« und inszeniert sie in der Wirklichkeit.

Die alte Weltordnung bricht zusammen, aber die Neue wird die Kräfteverhältnisse des »Rings« zwischen Geld und Macht, das Ringen um den Ring, der die Weltmacht bedeutet, nicht umkehren.

Sondern im Gegenteil: eher beschleunigen.

Wagners Werk bleibt grausame Tatsache und schreibt sich neu in die Wirklichkeit ein.

Deutschland, das aus den Trümmern wieder entstanden ist und erst 45 Jahre nach dem Zusammenbruch wieder als eine Nation zusammenkommt, versucht aus der »Götterdämmerung« zu lernen und ein besseres Land zu sein.

Wie stellt man dieses Werk heute dar?

Außer der Uraufführungstradition des gemalten Illusionstheaters, das durch Bayreuth in keiner Weise weiterentwickelt und das durch Hitler endgültig obsolet wurde, haben sich zwei Aufführungstraditionen in den letzten 65 Jahren herausgebildet: die abstrakt statuarisch Symbolhafte, auf das griechische Theater Verweisende, die 1951 wiederum von Bayreuth und Wieland Wagner ausging, und die spielerisch Theatralische, die Brüche zwischen Erhabenem und Groteskem, Lächerlichem und Gefühlsstarkem naturalistisch und hintergründig spielerisch umsetzende Theaterform, wie sie Patrice Chereau 1976 wiederum in Bayreuth auf die Bühne brachte und damit auf beispiellose Ablehnung stieß, und die nach drei Jahren zum Beispiel gebenden Erfolg wurde.

Dazwischen gab es kaum wirklich Überzeugendes.

Ansätze, die es mit Konzepten versuchten, wie: spielt alles auf dem Obersalzberg oder: in einem Tunnel oder: auf einer Straße oder: ... was einem immer als Nenner für das 16-stündige Werk einfallen mag, blieben schwächer und verfehlten viele Aspekte des Stückes.

Es gibt in Wagners Werk eine Menge an Unlogischem und Gezwungenem. Auch werden oft die vordergründigen Bilder und Situationen, wie zum Beispiel: der Riese Fafner wird ein Drache und wird mit einem selbstgeschmiedeten Schwert von Siegfried erschlagen, nicht dem eigentlichen, von Wagner gemeinten Sinn gerecht. Denn eigentlich wollte Wagner erzählen: Fafner besitzt die Weltmacht und unendlichen Reichtum, den er nicht mehr zum Wohle der Welt einsetzt, und wird von Siegfried besiegt, in dessen Hände nun das Schicksal der Welt fällt.

Es gilt also, für alle Symbole, Zeichen, Spielorte und Figuren Konstellationen, Theatermittel und Bilder zu finden, die sich im Sinne Wagners weiterentwickeln können, die sich neu changierend zusammenfinden, Bedeutung haben, die Welt und möglichst unsere Welt zeigen, sich aber nicht zu vordergründig festlegen.

Zum Beispiel Loge und das Feuer.

Der Feuergott Loge hat Wotan zur Machtentfaltung und zum Bau der Burg Walhall angestiftet. Er ist der unruhige Geist in einer scheinbar in Zwerge, Riesen und Götter geordneten Welt. Er steht aber auch für den, der den Menschen das Feuer brachte, die erste Kulturleistung der Menschen, die darin lag, das Feuer zu beherrschen. Als sich alle um ein selbst entzündetes Feuer versammeln konnten, konnten die Menschen zusammenfinden und Gemeinsamkeit und Wärme herstellen. Die eigentliche Zivilisationsleistung des Homo sapiens ist ja die gemeinsame Verknüpfung und der Austausch der Individuen, die ihn allen Tieren überlegen gemacht hat. Dann wird Loge von Wotan wieder angerufen, als er ein Schreckensfeuer braucht, um die schlafende Brünnhilde zu beschützen. Vom Herdfeuer führt ein direkter Weg in die Geschützfeuer aller Kriege und aller Munitionen, die abschreckend sein sollen. Und vom Feuer führt ein direkter Weg über die Intelligenz des Sapiens, Energie und Licht aus Strom zu erzeugen, Städte aus Licht, Reklame und Propaganda aus Elektrizität zu erzeugen. All das soll der Feuerzauber am Ende der Walküre sichtbar machen. In der neuen Welt des »Siegfrieds« ist diese Loge-Energie schon in Bits und Computerströme geflossen, in Codes und Internetströme, die wie von Zauberhand Waffenarsenale losschießen und Sicherheitscodes knacken. Auch in den Angstvisionen Mimes ist Loge anwesend, wenn die Energie zum Grusel wird und sich gegen ein Geschöpf wie Mime richtet. In der »Götterdämmerung« wird dann Loge von Brünnhilde zum letzten Mal angerufen, als sie für Siegfrieds Tod die bestehende Welt dem Untergang weiht. Die Atomraketen werden nach Hiroshima und Nagasaki zum zweiten Mal abgefeuert (Donald Trump bemerkte ja erst kürzlich: Warum haben wir sie sonst?). Ob die ganze Welt, das heißt der Planet Erde, von Loges Kraft endgültig zerstört werden wird, wissen wir nicht. Einige Menschen werden vielleicht und wahrscheinlich in Bunkern und unberührten Flecken dieser Welt überleben.

Die Natur könnte stärker sein als der Mensch, die Tiere waren für Wagner die beschützenswerten und treuen Wesen der Natur. Die Rheintöchter, Wesen, die aus dem Element des Wassers kommen, sind wie die Walter dieser unberührten Natur, die sie vor dem Zwerg Alberich nicht schützen konnten. Die Pferde der Walküren können durch die Luft fliegen, sind aber eigene Wesen, wie Grane, Brünnhildes Pferd. Als sie es Siegfried übergibt, wird es zum großen Machtsymbol von starker Bewegung und unendlichen PS. Und zu einem trojanischen Pferd, mit dem die Menschheit in die Vernichtung rast. Die Jagd ist ein großes Thema des Stückes, das Hinmetzeln von Tieren, aber eben auch von Menschen. Siegmund wird gejagt, und sein so starker und erfolgreicher Sohn Siegfried wird auf der Jagd, auf der er keine Beute errungen hat und sich von den Rheintöchtern hat ablenken lassen, erschlagen. Der tote Siegfried wird zu den toten Tieren gelegt. Der größte Held der Welt, der reichste und mächtigste Mann der Welt, ist tot nur ein weiterer Kadaver.

Wotans Speer ist das Symbol der Macht, das die Menschen einst für eine schützende Ordnung in die Hand eines einzelnen Anführers, eines Fürsten gelegt haben. Dieser hat für diesen Speer, den er auch der Natur abgerungen hat, ein Auge gegeben. Die Macht sieht nur auf einem Auge, eben dem der Macht und ihrer Erhaltung. Der Speer und sein Besitzer Wotan sind die Ingredienzien der männlichen Macht. Der Gegenpol ist Erda, die weise, alles wissende Urmutter. Das männliche und das weibliche Prinzip könnten nicht weiter gespannt auseinander liegen und haben doch die größtmögliche Anziehung. Brünnhilde, das Kind der Beiden, ist am Anfang eine Vatertochter, um sich dann von ihm zu lösen und dem weiblichen Gesetz zu seinem Recht zu verhelfen. Wotan muss in seiner Schlussszene mit Erda allen Frauen Unrecht tun, nicht weitere Fortpflanzung soll sein, sondern das Ende: von allem.

Brünnhildes Strafe und Schlaf waren auch Symbol für die Einfrierung aller Dinge, für die Brünnhilde gekämpft und gefochten hat. Deswegen steht eine Statue - zwischen Germania, Freiheitsstatue und Erinnyen - für die Idee, die von Brünnhilde weiterleben soll, in der sie schläft, bis sie in einer anderen, besseren Zeit wieder erwachen und leben soll.

Siegfrieds Schwert war schon bei Siegmund mehr als ein Schwert. Es war eine Wunderwaffe, die jede andere bannen konnte, weil Wotan wie in seinem Speer den Glauben an diese Waffe durch den Baum, in der er es schlug, eingravieren konnte. Siegfried muss diese Wunderwaffe wirklich und neu erstellen, das geht nur mit allen technischen Neuerungen. Er baut die Computer-Wunderwaffe, die jeden Code knackt und die jedes Arsenal, ob Geld, Waffen oder Wissen, sich zu Eigen machen kann. Damit ist er der Held und mächtigste Verwalter dieser Welt. Aber er kann diese Macht nicht außerhalb seiner eigenen sehr beschränkten Weltanschauung und seinem unvollkommenen Weltwissen anwenden.

In der »Götterdämmerung« entgleisen diese technischen, weltpolitischen und privaten Zusammenhänge und führen in die tragische Katastrophe.

Das Auge ist der Anfang und das Ende. Am Anfang hat der Homo sapiens die Welt, in die er geworfen war, zu betrachten begonnen, dann hat er diese Welt erobert. Wenn diese Welt zugrunde geht, sucht das Auge nach einer neuen Welt, vielleicht fällt die Welt aber auch in dieses Auge zurück.

Wagner hat nur gemalte Leinwände und spärliches Gaslicht gehabt, um sein Werk auf die Bühne zu bringen.

Wir haben Loges Lichteffekte, die die Welt heute millionenfach bebildern und darstellen können. Den Durch- und Einblick verlieren wir dabei natürlich, aber die Weite der Welt wird ermessbar.

Und, Wagners Welttheater wird nur erfahrbar, wenn wir die Bilder, Motive, Situationen an seiner Musik entlang gestalten. Denn diese Musik ist der eigentliche dramatische Strom, der all das Divergierende, Widersprüchliche und so groß konzipierte zusammenhält und zum Ereignis macht.

Dieser »Ring« will diese Musik und unsere Welt sichtbar machen.

Und dass wir verstehen lernen. Dass wir nicht, auch nicht eines Konzeptes Willen, einer Ideologie folgend oder die Angst vermeidend nicht verstanden zu werden, einfach sein wollen.

Dieses Stück ist nicht einfach. Es ist groß und oft gescheitert. Aber es ist diesem Stück auch die Hoffnung eingeschrieben, dass wir irgendwann diese Welt und uns selbst aushalten können, um darin freier und erfüllter zu leben.