Wolfgang Amadeus Mozart

Così fan tutte

01.11.2015
Musikalische Leitung:
Konrad Junghänel
Inszenierung:
Uwe Eric Laufenberg
Bühne:
Matthias Schaller
Kostüme:
Antje Sternberg
Mit:
Besetzung Wiederaufnahme 2021.2022 => Fiordiligi | Sumi Hwang (IMF: Julia Lezhneva) - Dorabella | Sivlia Hauer - Ferrando | Pablo Martinez (IMF: Ioan Hotea) - Guglielmo | Christopher Bolduc - Despina | Stella An - Don Alfonso | KS Thomas de Vries /// Premierenbesetzung 2015.2016 => Fiordiligi | Heather Engebretson (IMF: Julia Lezhneva) - Dorabella | Silvia Hauer (IMF: Regina Richter) - Ferrando | Ioan Hotea - Guglielmo | Christopher Bolduc - Despina | Gloria Rehm (IMF: Daniela Fally) - Don Alfonso | Wolf Matthias Friedrich (IMF: William Shimell)
Chor:
Albert Horne
Orchester:
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Termine:

Spielzeit 2015.2016
Internationale Maifestspiele 2016
Spielzeit 2017.2018
Spielzeit 2021.2022:
25. März 2022 - Wiederaufnahme
02. / 16. April 2022
21. Mai 2022 / Mozart-Zyklus - Internationale Maifestspiele (IMF)
04. / 15. Juni 2022

Così fan tutte

Rezensionen:

Laufenberg führt die Operation weiter, über den üblichen Auftaktschock hinaus. Er legt die burlesk-karnevalesken Züge dieser angeblichen Seria-Oper frei, seziert aber auch die Bosheit heraus und den bitteren Ernst, der in den schnellen Da-Ponte-Pointen steckt. Ganz ähnlich inszenierte er das Werk schon einmal, 2006 an der Potsdamer Winteroper: als klassisches Lustspiel, eine Gesellschaftskomödie, aber eben von heute, neu kostümiert mit dem Witz der Stand-up-Komödie. Laufenberg hat etwas von einem schikanederschen Theatertier oder auch von einem mozärtlichen Schlitzohr. Das Licht bleibe an, Teufel noch mal, niemand schlafe! Die vierte Wand bleibt offen bis zum Schluss. Die Sänger holen sich immer wieder Partner aus dem Publikum auf die Bühne, was wahrhaftig nicht jedes Mal so aussieht, als sei es vorher abgesprochen. So sind wir alle dreieinhalb Stunden lang genötigt, teilzunehmen an diesem Seelenexperiment, und eingeladen, uns gegebenenfalls erwischt zu fühlen.

„Così fan tutte ossia la scuola degli amanti“ (So machen es alle – oder die Schule der Liebenden) ist die dritte und letzte der drei Opern, die Wolfgang Amadeus Mozart 1789 nach einem Libretto Lorenzo Da Pontes schrieb. Was machen wir alle? Offenbar immer noch dasselbe wie vor zweihundertzwanzig Jahren. Wir täuschen uns, über uns selbst und andere und über die Zerbrechlichkeit des Glücks. In den schnellen, dichtgefügten Dialogen Da Pontes gibt es kein Komma zu viel. Mozarts Musik dagegen hat, in den Arien sowieso, Zeit und Raum genug, um Gegenkommentare zu entwickeln oder Widerspruch einzulegen gegen die Rest-Eierschalen der Konvention, die an den Verwechslungs- und Verkleidungsirrtümern der Buffa kleben. Und darum geht’s: Zwei junge Männer, dumme Jungs, lassen die Muskeln spielen und beschließen einen Frauentausch. Nur zum Spaß, versteht sich. Die Wette gilt: Welche dieser beiden ahnungslosen Zuckerpuppen lässt sich schneller herumkriegen?

Dorabella, die dunkle Schöne mit der Sonnenstimme und dem herrlich runden Volumen (Silvia Hauer)? Oder Fiordiligi, das zierliche Quecksilber mit der Durchschlagskraft einer Granate (Heather Engebretson)? Der eloquente Spielemacher Don Alfonso (Wolf Matthias Friedrich) , der die Bank hält und als Einziger eine Art Mozartzopf tragen darf, verstaut den Wetteinsatz auf öffentlichem Gelände, nämlich auf dem breiten Steg, der den Orchestergraben einfasst, in dem das Hessische Staatsorchester Wiesbaden sitzt. Direkt hinter dem Kopf des Dirigenten Konrad Junghänel (auch schon in Potsdam mit von der Partie, in bewährt zuverlässiger Perfektion, mit sprühendem Esprit) stapeln sich die Geldscheine, beschwert von einer Flasche Rotwein, die am Ende, als Doppelhochzeit gefeiert wird (fragt sich nur, wer nimmt wen), gemeinsam geleert wird. Sie feiern alle zusammen, was auch immer, ihre eigne Zerbrechlichkeit und die Zerbrechlichkeit der Welt.

Ein Tisch, ein paar Gläser und Stühle, zwei Äpfel, Papierfähnchen – die Ausstattung (Matthias Schaller) kommt mit dem Nötigsten aus. Auch die Kostüme (Antje Sternberg) dieser markenmodebewussten jungen Leute von heute senden keine Botschaft aus. Alles hängt ab von der zwischenmenschlichen Interaktion, vulgo Personenführung genannt, und natürlich von der schauspielerischen Brillanz dieser sechs Sänger, die allesamt mit Blitzgeschwindigkeit und komödiantischer Artistik agieren. Christoper Bolduc als sportlich-sonorer Guglielmo, Ioan Hotea als stählern-agiler Ferrando sind auch stimmlich phantastisch-empfindsame Machos. In Fiordiligis Felsenarie „Come scoglio“, einem Paradestück über die Wehr- und Standhaftigkeit des schwachen Geschlechts, schafft es Engebretson mitten in einer virtuos-geschmeidigen Phrase, ohne sich im Singen zu unterbrechen, die widerspenstige Zofe Despina (glanzvoll: Gloria Rehm) über die Schulter zu werfen und sie wie einen Sack Kartoffeln abzuschleppen in die Kulisse: Applaus! Aus dem Publikum strömen einzelne Zuschauerinnen und/oder Choristinnen auf die Bühne (oder sie werden geströmt) und posieren als Superfrauen, mit geballten Fäusten. Extra-Applaus!

Zu rühmen ist auch der für Lichtregie verantwortliche Andreas Frank. Just die musikalischen Inseln der Utopie in all diesem wunderbar galoppierenden Buffa-Wahnsinn fängt er besonders schön ein. Dies geschieht dem Zauberterzettino „Soave sia il vento“, als die Mädchen mit Alfonso dem Schiff nachwinken, das ihnen angeblich die Liebsten in den Krieg entführt. Kein Wort davon, dass die Männer wiederkommen sollen. Sie singen nur von ihrer eignen Sehnsucht: „ai nostri desir“. Da gehen die Kronleuchter aus im Saal, das Licht auf der Bühne wird ernst und golden, fokussiert sich auf die drei Menschen, die da mit dem Rücken zueinander stehen, jeder für sich allein.

Das „Così“-Zitat hat Mozart übrigens deutlich hörbar, quasi mit Doppelpunkt und Ausrufezeichen, schon in die Ouvertüre zur Oper hineinkomponiert, als sollte jeder es als Zitat erkennen, obgleich doch niemand, der das Stück zum ersten Mal hört, es kennen kann, da diese Kadenz erst viel später, kurz vor Ende der Oper, im Original auftaucht. „So machen es alle“, sagt Alfonso, mit einer Prise Hohn und keinem Quentchen Trost in der Stimme. Er singt es direkt ins Publikum hinein, breitet die Arme aus und schließt uns ein: ihr auch. Haltet euch nicht raus. Damit müsst ihr leben.

Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.11.2015

Die einfach plausible Umgebung bringt die ausgezeichneten Darsteller umso besser zur Geltung. Darauf legt Laufenberg offenbar immer Wert, schlanke, hübsche, junge Menschen lässt er gerne zeigen, was sie können, aber diesmal knistert es geradezu vor Lebendigkeit. Heather Engebretson und Silvia Hauer sind Fiordiligi und Dorabella, auch stimmlich beide ungemein agil – wobei die insgesamt hohe Beweglichkeit, das Singen nach hinten, zur gegenüberliegenden Seite hin Einschränkungen bringt, die es aber unbedingt lohnt, um die Figuren dermaßen in Szene zu setzen. Despina ist Gloria Rehm in einer Art Stewardessen-Look (Kostüme: Antje Sternberg), sagenhaft geradeaus in Gesang und Spiel. Ihre männlichen Pendants: Christopher Baldoc als zutiefst solider Guglielmo, Ioan Hotea als kraftvoller, der Zeit Mozarts in Richtung Großtenöre vorauseilender Ferrando und Wolf Matthias Friedrich, dessen volltöniger Don Alfonso die perfekten Signale für dieses Rolle aussendet – ein gemütlicher, aus der Entfernung nicht unsympathischer, aus der Nähe betrachtet unangenehm gemeingefährlicher Typus.

Auch Junghänel war schon in Potsdam dabei und ist in Wiesbaden derzeit regelmäßig zu Gast. Die behände, vorwärtsdrängende, aber detailreiche Mozart-Lesart des Alte-Musik-Spezialisten entspricht der halb wie aus dem Stegreif kommenden, aber eleganten Bewegungsfreude der Inszenierung.

Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 03.11.2015

Zuschauerraum, Bühne und Hinterbühne des Staatstheaters sind taghell erleuchtet. Mittendrin der Orchestergraben, in dem Konrad Junghänel das Sagen hat und mit ungeheurer Spiellust, Temperament und viel Feingefühl das Staatsorchester durch den dreieinhalbstündigen Abend führt, mit dem Intendant Uwe Eric Laufenberg seine etwas andere Version von Mozarts weltbekannter Buffa vorstellt, in der es um vermeintliche Beständigkeit der Gefühle, Täuschungen und große Enttäuschungen geht. Scheinbar feste Beziehungen werden auf eine harte Probe gestellt, bröckeln ´und zerbrechen. Es geht knallhart her in Mozarts ins heute übertragener beliebter Oper "Cosi fan tutte" oder "Die Schule der Frauen".

Obgleich nicht wenige Besucher Glanz und schönen Schein zunächst vermissten, wurde die von der Regie konsequent vom Staub befreite, über 200 Jahre alte beliebte "Beziehungskiste" am Schluss mit langem, fröhlichem Beifall für alle bedacht.

Stimmlich wie darstellerisch brillieren alle sechs Solisten. Die Sopranistin Heather Engebretson überzeugt als ebenso neugierige wie lebenslustige Fiordligi, die Altistin Silvia Hauser als ihre ernsthaftere, fass besonnene Schwester Dorabella und die spielgewandte, flinke Gloria Rehm in der Partie des sich mit Männern bestens auskennenden Dienstmädchens Despina, das Spielleiter Don Alfonso zu seiner Gehilfin erkor.

Das unter dem agilen Dirigenten ganz vorzüglich spielende Staatsorchester, der prächtige Damenchor und nicht zuletzt der regieführende Intendant, der seiner aktualisierten Interpretation eine frühere Berliner Aufführung zugrunde legte, wurden bei der Premiere mit großem Beifall des animierten Publikums und vielen Bravos lebhaft gefeiert.

RMT-Magazin, Britta Steiner-Rinneberg, 09.11.2015

Laufenberg führt diese Idee der Grenzüberschreitung auf dem Theaterkonsequent über zwei Akte und nahezu dreieinhalb Stunden Aufführungsdauer durch. Sie ist gewiss nicht neu. Und zieht doch auch die, die vom Zuschauerraum aus folgen, in ihren Bann. Schon deshalb, weil sich eine stärkere Symbiose von Musik und Szene kaum denken lässt. Denn zwischen den Beziehungsstürmen spielt das Hessische Staatsorchester im erhöhten Graben unter der Leitung von Konrad Junghänel, der einmal mehr einen pulsierenden, dabei feingliedrig durchgearbeiteten Mozart verantwortet. Und der doch nie die Umsicht auf das Sechs-Personen-Ensemble verliert, das die Così“-Premiere zum vokalen Großereignis macht.

Axel Zibulski, Wiesbadener Kurier, 03.11.2015

Laufenberg jedenfalls nimmt diese Oper ernst, verlässt sich aber mangels Bühnenbild ganz auf die Sängerdarsteller. Um den Gesang der Heather Engebretson ist es schade. Die New Yorkerin mit ihrem klaren durchdringenden Sopran trumpft kraftvoll auf und kann auch lyrische Töne anschlagen. Ein Fels in der Brandung. Junghänel führt die Sänger sicher durch die Partie, aber er treibt sie nicht. Deshalb wirken sie relativ unangestrengt, deshalb behält die Musik ihren Drive auch dort, wo sie sehr langsam wird. Die Scharfkantigkeit der Ouvertüre ist vergessen, die protestantische Sprödigkeit der ersten Annäherung überwunden.

Helmut Mauró, Süddeutsche Zeitung, 13.11.2015

So rundet sich ein kurzweiliger Opernabend mit optisch und stimmlich attraktiven Darstellern, einem blendend aufgelegten Orchester und einer belebenden Regie. Das Publikum spendet begeisterten und ungeteilten Beifall. Zum Niederknien schön gerät Silvia Hauer und Heather Engebretson zuvor das Terzettino „Soave sia il vento“ gemeinsam mit dem profunden Bariton von Wolf Matthias Friedrich als Don Alfonso. Das Orchester webt dazu einen zart schwebenden, duftigen Klangschleier. Das Licht im Saal wird zurückgedimmt. Für einen kurzen, magischen Moment bleibt die Zeit stehen. An diesen und vielen anderen Stellen erweist sich, wie musikalisch genau die Inszenierung bei aller improvisiert wirkenden Leichtigkeit gearbeitet ist, wie respektvoll Laufenberg bei aller künstlerischen Freiheit mit Musik und Text umgeht.

Michael Demel, deropernfreund.de, 03.11.2015

Der Regisseur und Hausherr Uwe Eric Laufenberg hat seine erfolgreiche Inszenierung von 2006 aus seiner Potsdamer Zeit mit identischem Produktionsteam auf die Wiesbadener Bühne transformiert - zur großen Freude des Premierenpublikums, wie der einhellige Jubel beim Schlussapplaus zeigte. Diese Produktion war eigentlich für seine frühere Wirkungsstätte in Köln angedacht worden; die Gründe für das Nicht-Zustandekommen sind hinlänglich bekannt. Nun also im prachtvollen neobarocken Staatstheater, dessen goldene Stuckverzierungen Ferrando und Guglielmo immer mal wieder neugierig befingerten. Die frühere Künstlerriege auf der Bühne ist nach dieser Zeit nicht mehr beisammen – bis auf Konrad Junghänel, der ebenfalls Köln verlassen hatte und seither regelmäßig in Wiesbaden am Pult steht. Der weithin renommierte Alte-Musik-Spezialist verstand es, dem bestens aufgelegten und weitgehend vibratofreien Orchester einen wunderbaren grazilen und vielfarbigen Mozart-Sound zu entlocken.
Laufenberg stehen in seinen Hauptpartien junge und bereits exzellente Sängerdarsteller zur Verfügung. Heather Engebretson als Fiordiligi hat sich gegenüber ihrer Konstanze als Mozartsängerin deutlich gesteigert; bei sehr graziler Figur hat sie eine große, rund klingende und sehr höhensichere Stimme, die ab der kommenden Spielzeit in der Hamburger Staatsoper zu hören sein wird. Ihr absolut gleichwertig und mit runder Stimme und einem herrlichen Piano ist die Dorabella von Silvia Hauer, stimmlich wie darstellerisch. Auch den beiden Herren Ioan Hotea als Ferrando und Christopher Bolduc als Guglielmo nimmt man ihre Rolle in dem üblen Spiel um die Liebe, ihr laszives Werben und ihr flegelhaftes Benehmen vollends ab; auch gesanglich passen sie perfekt zu den beiden Damen, wenngleich Bolduc in seiner großen Arie in den Höhen schon etwas gequetscht klang.
Diese Produktion ist ein Glücksfall für Wiesbaden, quasi mitten unter uns, fast ohne Requisiten und die Aufmerksamkeit ablenkende Bühnenelemente, voll von Bewegung und einfach toll gesungen und gespielt. Tipp: Unbedingt anschauen.

theaterpur.net, Michael Cramer, 05.11.2015
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